Kanzler Konrad Adenauer war gerade zum ersten Mal wiedergewählt, die Fußball-Weltmeisterschaft noch nicht gewonnen, da sollte der katholische Prälat Klaus Mund Geschichte schreiben. Für den 1. Mai 1954 war das erste Wort zum Sonntag im Deutschen Fernsehen (das Zweite gab es noch nicht) geplant, live gesendet aus Hamburg-Ochsenzoll. Doch der Prälat durfte am Tag der Arbeit nicht arbeiten: Kabelbruch. Der Bildschirm blieb stumm, das erste Wort zum Sonntag konnte nicht gesprochen werden.
Deshalb war eine Woche später Premiere. Am 8. Mai 1954 um 22 Uhr sprach der evangelische Pastor Walter Dittmann aus Hamburg das erste Wort zum Sonntag mit dem Titel "Sehen und Hören".
Es begann mit einer Panne, aber dann war das Wort zum Sonntag nicht mehr aufzuhalten. Nicht von kritischen Fernsehmachern, denen die Sendung zu kirchlich war, nicht von mächtigen Intendanten, die ihr schönes neues Fernsehen von morgen nicht mit dem Grauschleier eines verstaubten Formats vermiesen lassen wollten.
Als 1970 das Kirchenwort auf den unattraktiven späten Sonntagabend abgeschoben werden sollte, protestierten die Zuschauer, 77 Prozent waren für die Fortsetzung am Samstag. Seit dieser Angriff abgewehrt wurde, ist die Sendung so etwas wie eine heilige Kuh des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Wort zum Sonntag neben der Tagesschau älteste Sendung im deutschen Fernsehen
Mittlerweile ist das Wort zum Sonntag neben der ARD-Tagesschau (seit 1952) die älteste Sendung im deutschen Fernsehen. Mehr als 3600 Folgen liefen nach der misslungenen Premiere bis heute über den Äther, über 300 Sprecher versuchten – mal lebensnah, oft belanglos, manchmal provozierend –, die Botschaft des Evangeliums dem Fernsehpublikum zu vermitteln.
Seit Anfang 1999 besteht die Sprechergruppe aus acht Personen, vier katholischen und vier evangelischen, die jeweils im wöchentlichen Wechsel vor die Kamera treten. Von evangelischer Seite sind es momentan Annette Behnken (NDR), Alexander Höner (RBB) und Anke Prumbaum (WDR). Stefanie Schardien (BR) spricht ihr letztes "Wort zum Sonntag" am 30. November 2024, für sie rückt Conrad Krannich (MDR) nach.
Intaktes Fundstück der Fernseharchäologie
"Hörfunk mit Passbild", diagnostizierte die Soziologin Ruth Ayas 1997 in ihrer Dissertation über den TV-Dauerbrenner. Sie würdigte das Wort zum Sonntag als "ältestes noch intaktes Fundstück der Fernseharchäologie mit einer primitiven Darreichungsform aus den 50er-Jahren". Die mediale Beharrlichkeit hat Kabarettisten und Komödianten von Otto Waalkes über Dieter Hildebrandt bis zu Bruno Jonas (Seelenzuckerl der ARD) zu bissigen Satiren getrieben. "Gott ist nicht tot", hieß ein Sponti-Spruch in den 70er-Jahren, "er ist nur beim Wort zum Sonntag eingeschlafen."
Erst waren es zehn Minuten, dann fünf, heute viereinhalb Minuten. Eingeklemmt zwischen den Tagesthemen und dem ARD-Spätfilm waren regelmäßig über ein Viertel aller Geräte eingeschaltet. Wie viele tatsächlich zuschauten, hat in den Gründerzeiten des Fernsehens niemand gefragt, der Quotenkrieg war noch nicht eröffnet. Seit der Vorverlegung der Lottozahlen geht es mit dem wöchentlichen Wort bergab.
Durchschnittlich 1,3 Millionen Menschen haben zur Sendezeit das Erste eingeschaltet (wie viele tatsächlich zusehen, weiß allerdings niemand), in den 60er-Jahren waren es über sechs Millionen, Anfang der 90er-Jahre noch 3,87 Millionen. Nur als Papst Johannes Paul II. bei seinem Deutschlandbesuch 1980 das Wort zum Sonntag sprechen durfte, wurde wieder eine Traumquote von 21 Prozent erreicht, Papst Benedikt XVI. konnte bei seinem Wort zum Sonntag vor seiner Deutschlandreise am 17. September 2011 diesen Wert nicht toppen. Gerechterweise muss man jedoch sagen, dass seit den 50er-Jahren die Zahl der Programme zugenommen hat – aber auch die Zahl der Fernsehkonsumenten. 1954 gab es gerade mal 80 000 Fernsehhaushalte in Deutschland.
Der Zuschauerschwund ist erklärbar mit dem zurückgehenden Interesse am kirchlichen Leben, aber das ist vielleicht zu einfach. Liegt es daran, dass es der Kirche an profilierten Sprechern mangelt, seit Adolf Sommerauer, Jörg Zink und Heinrich Albertz ihr Sprecheramt abgaben?
Die Prominenz bleibt in Erinnerung: Jörg Zink erreichte sein Publikum mit warmen, aber deutlichen Worten, sein einnehmendes Wesen, seine ruhige Stimme, seine hohe theologische Kompetenz, verbunden mit einer einfachen Ausdrucksweise, ließen ihn für viele Zuschauer zu einem begnadeten Seelsorger werden. Glaubwürdiger geht's nicht. Der schwäbische Pfarrer konnte sich für die Bewahrung der Schöpfung aussprechen, noch lange bevor es die Grünen oder den konziliaren Prozess gab. Er war mit über 100 Auftritten das fleischgewordene Wort zum Sonntag.
Das Besondere war schon immer die Vielfalt. Wetterte an jenem Samstag ein kreuzkonservativer Katholik mit der Heiligen Schrift gegen den Moralverfall, konnte schon am nächsten Samstag ein liberaler Protestant zur Weltverbesserung aufrufen, ohne die Kirche, die Bibel, Gott oder Jesus auch nur zu erwähnen. Für das Stammpublikum waren diese Brüche und klerikalen Wechselbäder nur schwer zu verdauen. Aber vielleicht machte gerade diese Unberechenbarkeit das Kirchenwort zum Kult, denn die Verschiedenheit der Charaktere und Profile hatte stets ihren Reiz.
Der Vorzeige-Sprecher Jörg Zink bekam säckeweise böse Briefe, als er zum 1. Advent 1974 den Berliner Bischof Kurt Scharf in Schutz nahm. Scharf hatte die Terroristin Ulrike Meinhof in der Haft besucht. "Die Gewalt der einen, das Rachebedürfnis der anderen, das ist die Finsternis", sprach Zink und fragte: "Krankt unsere Welt wirklich daran, dass ein Mensch in seiner Güte zu weit ging? Ist das das Unglück, unter dem wir leiden?" Der Vorwurf der Staatsgefährdung und der Sympathie mit Terroristen waren noch die milderen Vorwürfe.
Pfarrer Hans-Georg Lubkoll rief nach dem Überfall der "Baader-Meinhof-Bande" nach der harten Hand des Staats
Der bayerische Pfarrer Hans-Georg Lubkoll kam nicht in diesen Verdacht, als er am 26. April 1975, nach dem Überfall der "Baader-Meinhof-Bande" auf die deutsche Botschaft in Stockholm, nach der harten Hand des Staats rief. Die "Erfahrungen mit dem Missbrauch der Macht bis Mai 45, in dem noch rücksichtslos vergast, gehängt, geköpft und erschossen wurde", so Lubkoll, hinderten ihn nicht daran, "jetzt ruhig nachzudenken und zu überlegen, was jetzt getan werden kann". "Mit Nächstenliebe", so Lubkoll, "ist etwas anderes gemeint als Schwäche und Nachgeben." Das sei in manchen Fällen nur möglich, wenn Härte angewendet wird.
1977 dann wieder Zink: Plötzlich legte er sein Manuskript zur Sendung beiseite und redete frei über die Entführung des Flugzeugs Landshut durch palästinensische Terroristen. Ein Politikum. Noch weiter ging Heinrich Albertz, der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, in seinem Wort zum Sonntag am Vorabend des "Heißen Herbsts" am 8. August 1977. Albertz fragte nach eigener Mitschuld und wandte sich an die Sympathisanten der Terroristen. Nach der Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto sprach er "gezielt und deutlich die an, die immer noch glauben, sich mehr oder weniger heimlich über den Tod eines Mächtigen freuen zu können, die im Hintergrund oder im Untergrund des Terrors helfen". Albertz fragte: "Ihr wollt doch leben und anderen zum Leben helfen. Ich bitte euch inständig, denkt darüber nach. Bleibt Menschen. Ihr seid es doch. Oder?"
Es gab viele solcher eminent politischen Worte, etwa als der rheinische Presbyter Helmut Franz im Juli 1977 am Vorabend eines Fußballspiels der deutschen Nationalmannschaft in Argentinien auf die Menschenrechtssituation in dem südamerikanischen Land aufmerksam machte. Franz fragte, wie die Funktionäre ein Freundschaftsspiel mit einem Land austragen können, "in dem Folter und Mord zur Alltagssache geworden sind". DFB-Präsident Hermann Neuberger, selbst Saarländer, protestierte höchstpersönlich beim zuständigen Saarbrücker Intendanten Franz Mai. Dieser äußerte "vollstes Verständnis" und fiel dem Presbyter öffentlich in den Rücken: "Pseudochristliche, einäugige Heuchelei" lautete sein Urteil über den Beitrag von Franz, und er fragte ihn, warum er denn nichts gegen die Missstände in den Ostblockstaaten gesagt hätte. In einem Brief an Neuberger schrieb Intendant Mai, er wolle dennoch "von Maßnahmen absehen". Zu oft hätten ihn "die publizistischen Großinquisitoren und einige ihrer journalistischen Helfershelfer auf dem Scheiterhaufen ihres Druckpapiers verbrannt".
Doch manchmal traf es auch die Sprecher. Der hessische Fernsehpfarrer Helwig Wegner-Nord wurde angezeigt, weil er dazu aufforderte, illegal in Deutschland lebenden Flüchtlingen zu helfen und "auch gegen staatliche Gesetze dem Gebot der Nächstenliebe zu folgen". Wegner hatte in seinem "Wort zum Sonntag" den Fall eines an Mittelohrentzündung erkrankten Flüchtlingskindes geschildert, das mit seinen Eltern illegal in Deutschland lebte und dringend ärztliche Hilfe benötigte. Schließlich habe sich ein Kinderarzt gefunden, der den Jungen auch ohne Papiere und Krankenkassenkarte behandelte. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft wurde aktiv, ein Hauptkommissar der Kripo Frankfurt bemühte sich um das Sendemanuskript. Wegner bekam viel Post. Die meisten Briefe gingen in Richtung: "Das kann sich die Kirche doch nicht herausnehmen, wir leben doch in einem Rechtsstaat". Es gab aber auch Zustimmung von Menschen, die sich ganz konkret in der Frage der illegalen Flüchtlinge engagieren wollen, zum Beispiel von einem Arzt.
Neben den politischen Worten gab es auch parteipolitische. Der fragwürdige Austausch des katholischen Sprechers am Vorabend der rheinland-pfälzischen Kommunalwahlen am 16. März 1974 blieb als Skandal in Erinnerung. Nicht der turnusmäßig vorgesehene Stuttgarter Gefängnispfarrer Hans-Peter Rieder durfte sprechen, sondern die rheinland-pfälzische CDU-Politikerin und Staatssekretärin Hanna-Renate Laurien. Die Vizepräsidentin der katholischen Synode hatte sich mit einem Beitrag gegen eine Fristenregelung des Abtreibungsparagrafen 218 in letzter Minute auf den Bildschirm gedrängt. Zehn Stunden nach dem Wort der CDU-Politikerin öffneten in Rheinland-Pfalz die Wahllokale, Laurien stand als Spitzenkandidatin um einen Gemeinderatssitz in der Gemeinde Bodenheim zur Wahl. Das Wort zum Sonntag war zu einem "Wort zum Wahlsonntag" verkommen. In milderem Licht wurde Jörg Zinks Klage gegen die Umweltzerstörung im November 1979 gesehen. Nach Meinung seiner Kritiker hatte er damit den Grünen den Einzug in den baden-württembergischen Landtag ermöglicht.
Das "Wort zum Sonntag" wurde zum "Schock am Sonntag"
Das Wort zum Sonntag – es wurde ein Reizwort. Als der evangelische Pfarrer Friedrich Borggrefe vom Bett eines Kranken in der Intensivstation sendete, sprach die Hörzu vom "Schock zum Sonntag", die Leserbriefe in der Programmzeitschrift reichten von erschütternd bis sauer, als ob das nicht sein dürfte.
Der Beitrag Borggrefes war jedenfalls das Ende des Formats "Hörfunk mit Passbild". Die Sprecher traten aus dem Studio in die Welt der Zuschauer, was manchmal zu einem verkrampften Aktionismus verkam. Oft vergaßen die Sprecher vor lauter "Abholen" das "Ankommen". Ein Propst sprach aus dem Kreißsaal über "Behüten und Bewahren", eine Pastorin ließ sich auf einer Autobahnbrücke filmen, eine andere auf dem Friedhof.
Pfarrer Heiko Rohrbach setzte seine Hündin Jenny aufs Sofa, als Zeugin für sein Plädoyer für die "Menschenwürde des Tieres". Ein Pfarrer verstieg sich zu einem Osterwort von einer Kläranlage am Rhein. Golgatha, die Kläranlage für unsere Sünden? Manchmal mochten die Kulissen nicht passen, manchmal haperte es an der Theologie. Die feministisch angehauchte Anita Benckert flog nach nur drei Auftritten raus, nachdem sie den Sündenfall im Paradies als nachahmenswertes Beispiel für sinnvolles Handeln pries.
Frauen hatten es am Anfang schwer, ins Sprecherteam zu kommen. In der Kirche war die Verkündigung Jahrhunderte Männersache, im Fernsehen zumindest in den ersten Jahrzehnten. Nach der ersten Redakteurin einer Nachrichtensendung und der ersten Sportmoderatorin kam irgendwann einmal auch die erste Sprecherin des Wortes zum Sonntag auf den Schirm. Im Jahr 1969 sprach Liselotte Nold vom Bayrischen Mütterdienst als erste Frau das Wort zum Sonntag.
"Vor allem erwartet man von einer Frau", schrieb der damalige Fernsehbeauftragte der bayerischen Kirche, Martin Lagois, 1973 in der Nürnberger Zeitung, "dass sie ihre Sache in logischen Zusammenhängen vorträgt – ohne emotionale Gedankensprünge. Zugleich muss der weibliche Charme den Verdacht gar nicht aufkommen lassen, einer ›Intelligenzbestie‹ zuhören zu müssen, bei der vielleicht sogar noch unbewältigte Emanzipationskomplexe durchschimmern."
Pfarrfrau Barbara Hahne war 1973 die erste Nichttheologin vor der Kamera
Es gab eine Frau, die diese Kriterien sehr gut erfüllte, und es war nicht einmal eine Pfarrerin: Die westfälische Friseurmeisterin und Pfarrfrau Barbara Hahne war 1973 die erste Nichttheologin vor der Kamera. Als die attraktive 35-Jährige antrat, waren die Meinungen freilich geteilt. "Das soll sie mal ihrem Mann, dem Herrn Pastor, überlassen", verlautete es aus der Gemeinde der engagierten Pfarrfrau. Aber dass nun eine Frau das Wort zum Sonntag sprach, die mit beiden Beinen im Leben stand, dafür gab es viel Zustimmung.
Für die Katholiken sprach die Nonne Isa Vermehren 1983 das erste Wort zum Sonntag. Ihre Auftritte machten das Format frischer und menschlicher. Von evangelischer Seite sorgte dafür die bayerische Pfarrerin Susanne Breit-Keßler (1995 bis 1998).
"Gottes Horizont hat Platz für alle Lebenserfahrungen", sagt der Mainzer Pfarrer Stefan Claaß, seit sieben Jahren im Sprecherteam. Sein Ausgangspunkt ist ein Lutherzitat: "Gott steht nicht mit der Keule hinter dir, sondern er steht vor dir mit Muskatellerwein ... er will sich mit dir versöhnen, darum harre auf Gott, als er wird dir helfen." Claaß hatte deswegen auch keine Scheu, einen Sarg ins Studio zu stellen, als er von seinen Erfahrungen mit dem Tod erzählte.
Vier Minuten religiöser Frontalunterricht
Was kann es künftig sein, das Wort zum Sonntag? Eine "Chance der Solidarität mit dem Zuschauer", eine "Gelegenheit öffentlich zu machen, was sonst ohne Öffentlichkeit bleibt", wie der ehemalige EKD-Fernsehbeauftragte Robert Geisendörfer formulierte? Der Moderator Jörg Thadeusz nannte die Sendung im Rahmen einer Festveranstaltung im Januar 2014 in Hamburg "vier Minuten religiöser Frontalunterricht", der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider sieht die Sendung als einen "niedrigschwelligen Berührungspunkt mit dem Evangelium".
Die Chance ist gestern wie heute eine missionarische: den zufälligen Zuschauer anzusprechen, der nach den Tagesthemen nicht gleich zur Fernbedienung greift, sondern erst mal weiterguckt. Der will keine Belehrung, aber einen dezidiert christlichen Standpunkt.
Vor allzu viel visuellem Beiwerk seien die "Wortmacher" gewarnt, die ruhige Insel könnte sonst leicht in der multimedialen Reizüberflutung untergehen. Vielleicht sollte man doch weiter auf die Einfachheit der Form, die Kargheit der Mittel setzen. "Notwendig ist ein Mensch und ein Wort", warnte schon vor Jahrzehnten Jörg Zink die Modernisierer. "Sonst nichts."
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden
Ich weiss nicht wenn es das…
Ich weiss nicht wenn es das Wort zum Sonntag nicht geben wuerde.
Wuerde es wirklich jemand vermissen?