Warum die Bibel wahr ist? Weil sie ein schwieriges Buch ist, voller Widersprüche, Unebenheiten, zu jeder Zeit unzeitgemäß, gegen den Mainstream und die "ecclesiastical correctness".

Die Versuchung war deshalb immer groß, den Text zu glätten und die Widersprüche aufzulösen. Dieser Versuchung einer modernen Wellness-Religion ist nun sogar der Papst erlegen.

Der Vers "Und führe uns nicht in Versuchung" in der deutschen Übersetzung des Vaterunsers sei "keine gute Übersetzung", sagte Franziskus. Besser sei: "Lass mich nicht in Versuchung geraten." Denn ein Vater mache so etwas nicht. "Wer in Versuchung führt, ist Satan."

Viele Theologen fühlen sich nun herausgefordert, die sechste Bitte des Vaterunsers zu überdenken.

Neu ist das nicht. Der Neutestamentler Klaus Berger schlug bereits vor Jahren vor: "Führe uns an der Versuchung vorbei."

Der Theologe und Philosoph Rupert Lay liest den Vers so: "Und führe uns auch in der Versuchung!"

Die "Bibel in gerechter Sprache" übersetzt: "Führe uns nicht zum Verrat an dir!"

Und die "Gute-Nachricht-Bibel" schließlich formuliert: "Und lass uns nicht in die Gefahr kommen, dir untreu zu werden."

Damit wird eine 1700-jährige Übersetzungstradition auf den Kopf gestellt. Bereits der gotische Bischof Wulfila, des Griechischen mächtig, übersetzte 350 n. Chr.: "jah ni briggais uns in fraistubnjai" (Und nicht bringe uns in Versuchung).

In den althochdeutschen Fassungen des 9. Jahrhunderts wird gebeten, Gott möge uns nicht in Versuchung leiten oder verleiten.

Doch spätestens seit Martin Luthers Septembertestament von 1521 herrschte kein Zweifel mehr daran, dass Gott in Versuchung führen kann: "vnnd fure unns nitt ynn versuchung", heißt es da.

Gott – er bleibt der Rätselhafte, der ganz Andere.