500 Jahre Thesenanschlag: Wittenberg feiert sich 2017 als Nullmeridian der Reformationsbewegung. Auch eine millionenteure "Weltausstellung Reformation" hat man auf die Beine gestellt. Mit 80 Projektpartnern und 16 Themenwochen mit je Hunderten Veranstaltungen.
Die Hälfte der Zeit ist rum. Aber wo bleiben die Geburtstagsgäste, mit denen die Kirche über Gott und die Welt ins Gespräch kommen wollte? Die Installationen, Pavillons und eigens entsandten Ehrenamtlichen wirken oft wie ein Stillleben.
Wittenbergs Besucher zieht es auch 2017 eher an die Originalschauplätze, die Orte, an denen Luther, Melanchthon, Cranach lebten, liebten, predigten, malten, schrieben.
Dann waren da noch: die ziemlich leeren Elbwiesen beim Wittenberger Open-Air-Abschlussgottesdienst des Berliner Kirchentags; die nur 15 000 Menschen, die zum "Kirchentag auf dem Weg" in Leipzig kamen statt der 50 000, mit denen man rechnete; die Luther-Ausstellungen in Berlin und Wittenberg, die nur schleppenden Besuch verzeichnen. Nur auf der Wartburg und bei der Coburger Landesausstellung brummt’s bei den Reformationschauen.
Der langjährige Leipziger Thomaskirchen-Pfarrer Christian Wolff sieht Anzeichen einer "dramatischen Krise" der evangelischen Kirche, die durch das Jubiläum "ungewollt sichtbar geworden ist". Die Kirche komme ihm vor wie ein "großes Kaufhaus ohne Kunden". Man könnte auch nüchtern feststellen: Aufmerksamkeit und Zeit sind knappe Güter, und bei Überangeboten kommt es mitunter zu Kannibalisierungseffekten.
Keine Konjunktur also für die Kirche und die Anbetung Gottes 500 Jahre nach Luthers Thesen? Dass es die Gottesanbeterin (Mantis religiosa) im Reformationsjubiläumsjahr zum Insekt des Jahres geschafft hat, ist da kein Trost. Die Gottesanbeterin ist berüchtigt für ihren Kannibalismus.