In Kirchengemeinden, so kommt es mir manchmal vor, gehört es zum guten Ton, sich für andere zu verausgaben. Sich unermüdlich zu engagieren: Menschen, die den Gemeindebrief austragen, obwohl ihnen das Laufen viel zu anstrengend ist. Andere, die den Mesnerdienst am Sonntag übernehmen, obwohl sie auch gern mal länger schlafen würden nach der vollen Arbeitswoche.

Ehrenamtliche leisten manchmal mehr als man von festangestellten Mitarbeiter*innen je verlangen würde. Und manchmal wird diese Haltung auch an Pfarrer*innen herangetragen: "Na, das ist doch kein normaler Job, das ist eine Berufung! Wir machen das hier ja auch in unserer Freizeit, da kann der Herr Pfarrer auch noch schnell die Tische aufstellen und den Rasen mähen!"

Ja, kann er und wird er. Genauso wie sich viele Menschen, die sich in Kirchengemeinden engagieren, niemals zugeben würden, dass sie genervt sind, gestresst oder überarbeitet von den freiwilligen Aufgaben, die sie übernommen haben. Unter dem barmherzig-milden Jesuslächeln zittern dann der Ärger und die Erschöpfung.

Ich behaupte, dass es in Kirchengemeinden mindestens genauso viel brodelnde Konflikte, nicht ausgesprochenen Neid, verletzte Gefühle und Intoleranz gibt wie in einem Tischtennisverein, einem Kegelclub oder einer Nähgruppe. Vielleicht sogar noch mehr.

Vielleicht, weil es eine seltsame Verbindung zwischen christlich-plakativer Nächstenliebe und Harmoniesucht gibt? Weil man Feindesliebe mit Konfliktscheue verwechselt - und Nachsicht mit Vorsicht?

Es gibt anscheinend gerade in kirchlichen Kreisen die stille Annahme, dass es unter Christenmenschen keine Konflikte geben darf. Weil man sich ja ach so einig ist darin, dass alle an Gott glauben und der* an uns glaubt und wir deshalb alle in allem einig sein müssen.

Ich übertreibe ein bisschen. Aber es zeigt sich eben doch immer wieder: Bei Abstimmungen in Leitungsgremien enthält man sich lieber, als dagegen zu sein. Die hässlichen Sitzpolster werden toleriert, weil man den Nähkreis nicht vor den Kopf stoßen will. Klingt hart? Ist es auch.

Es wird allerdings nicht besser, wenn die Konflikte im Flüstern, Lästern und hinter vorgehaltener Hand ausgetragen werden. Dann wird es noch viel schlimmer. Dann wird es verletzend und unehrlich.

Ja, an Pfingsten ist damals der Geist über die Jünger*innen gekommen. Das war aber keine Harmoniesoße und kein Glitzer auf Kuhmist. Gottes Geist hat nicht dazu geführt, dass es weniger Konflikte gab als vorher. Eher im Gegenteil. Gottes Geist ging durch Mauern. Öffnete Herzen und ließ Flammen aufgehen. Gottes Geist hat Menschen den Mund geöffnet. Tat es damals und tut es heute noch.

Menschen, die in diesem Geist leben und von Gott erzählen wollen, sind nicht besser, liebender oder fehlerfreier als andere - nur für den Fall, dass ich das nochmal betonen muss. Manchmal sind sie sogar intoleranter und verbissener - immer dann, wenn sie vergessen, dass Gottes Geist zwar durch Mauern bricht, aber dort dann eben auch die Freiheit anderer sucht.

Es gibt vielleicht nur eine kleine Sache, die dieser Pfingstgeist in einer Kirchengemeinde verändern kann, so dass es doch anders werden kann als im Kegelclub: Die gemeinsame Erinnerung daran, dass es am Ende nicht wir sind, die zum Gelingen einer Gemeinde, einer Predigt, eines Engagements das Entscheidende beitragen. Es ist nicht unser Geist, nicht unsere Leistung, nicht unser Durchhaltevermögen, nicht unsere Zeit. Es ist Gott.

Wir müssen Gott nirgendwohin tragen und auch nicht beweisen, dass es ihn gibt. Er ist schon da. Vor allem bei denen, die den Kuhmist, den Streit, das Suchen und das Aufgeben am besten kennen.