Die Kirche im Dorf lassen: Das wünschen sich die meisten Christen nicht nur im übertragenen Sinne. Geht es doch um den Stellenwert ihrer Ortsgemeinde in einer zunehmend unübersichtlich werdenden Welt mit ihren Abstiegs- und Orientierungsängsten. Längst hat sich unsere Gesellschaft ausdifferenziert und atomisiert, haben sich Teilöffentlichkeiten gebildet, die sich abschotten und in ihren eigenen digitalen Echokammern kommunizieren.

Umso wichtiger ist vielen Gläubigen ihre eigene Kirchengemeinde als fester Anker, als Ort realer Begegnung und Gemeinschaft.

Falsch wäre es allerdings, würde sich die Kerngemeinde wie andere gesellschaftliche Gruppen nur als geschlossener Wohlfühlverein verstehen und darüber ihren missionarischen Auftrag vernachlässigen.

Neue Räume entdecken und neue Netzwerke knüpfen

Die frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu den Menschen mit spirituellem Feuer und seelsorgerlicher Nähe auch nach außen tragen und Politik und Gesellschaft auf dem Hintergrund des Evangeliums Richtungsanzeigen geben: Das sollte reformatorische Aufgabe der Kirchenleitung, aber auch der Gemeinden sein.

Wofür Kirche steht, darf nicht nur nach innen sichtbar werden. Es gilt, neue Räume zu entdecken und neue Netzwerke zu knüpfen, wie es ja auch der landeskirchliche Reformprozess PuK will. Luthers Freiheit eines Christenmenschen sollte dabei handlungsweisend sein.

Will man dem kirchlichen Mitgliederschwund und dem Bedeutungsverlust des Glaubens für junge Menschen (siehe Shell-Jugendstudie 2019) entgegensteuern, so muss allerdings die häufig anzutreffende Milieuverengung aufs gut situierte Bildungsbürgertum korrigiert werden. Nicht alle jungen Leute sind Gymnasiasten oder Studierende, nicht alle Berufstätigen oder gar Rentner gehören zur Mittelschicht. Eine forcierte Öffnung gegenüber allen sozialen Schichten und die entsprechende Sprachfähigkeit der Kirche sind daher entscheidend.

Jugendarbeit und Religionsunterricht immer wichtiger

Weil es immer weniger religiöse Sozialisation in den Familien gibt, sind Jugendarbeit und Religionsunterricht umso wichtiger. Es ist bedenklich, wenn sich in Bayern ausgerechnet an den Berufsschulen ein ganzes Drittel der evangelischen Schüler vom Religionsunterricht abgemeldet hat, oder wenn in vielen Kirchengremien Arbeiter oder Handwerker mit der Lupe zu suchen sind.

Was tun? Gemeinsame Projekte von Gemeinden und Diakonie wie die Vesperkirchen machen es vor: gleichzeitig helfend und spirituell agieren und mit Blick auf mehr Gemeinschaft Brücken bauen in der zersplitterten Gesellschaft. Was es dazu braucht, sind Menschen, die mit Authentizität vorbildhaft für die frohe Botschaft, für ihr Christsein stehen – privat wie im Beruf, im Kern und an den Rändern.