In Angelas Kindheit in Erlangen gab es zwar keine Sprüche wie: »Das macht ein Mädchen nicht.« Doch wenn die Klassenkameradinnen in der Schulzeit zusammenstanden und sich über typische Mädchenthemen unterhielten, »dann stand ich blöd daneben«, erzählt der heute 40-jährige Tim Brügmann.
Irgendwann habe er sich entschieden, »mein gottgegebenes Geschlecht voll anzunehmen«. Sehr anstrengend sei das gewesen und später habe er sich in diese Selbstdefinition geflüchtet: »Ich bin keine typische Frau.« Angela wird als Mädchen wahrgenommen, aber in Beziehungen zu Jungs »habe ich mich tendenziell immer gleich gefühlt«, so der Sozialpädagoge und Psychologe, eine »unbändige Freude« habe er beim Raufen gespürt.
Doch Angela bleibt zunächst eine Frau, sie findet einen Partner und bekommt zwei Kinder. Ihr Identitätsproblem löst das nicht. Jahre zuvor hat sie einen Radiobeitrag gehört und darin erfahren, »dass man vom Mann zur Frau oder von der Frau zum Mann« werden könne: »In dem Moment wusste ich, dass ich das will.«
Als Frau habe er stets versucht, so zu sein, »dass ich den Erwartungen der Leute entspreche«. Sich davon endlich zu lösen, sei der persönliche Grund gewesen, zu Tim zu werden.
Langsame Befreiung
Diese Befreiung geschah Schritt für Schritt. Eines Abends geht sie als Mann weg: »Ich war total verkrampft, bin zwanghaft breitbeinig gelaufen. Aus heutiger Sicht sehr uncool, aber ich wusste, ich will nie wieder anders auf die Straße.«
Wenn eine Frau als Mann leben will, muss sie sich auch wie ein Mann verhalten. Schließlich brauchen die Hormone Zeit, bis der Bart wächst, die Stimme sinkt, das Körperfett sich umverteilt, erläutert Tim. Aber man könne sich die Brust wegbinden, Bart ins Gesicht kleben und an seiner Körpersprache arbeiten: »Man gibt sich Raum, man läuft aufrecht, geht nicht beiseite, wenn jemand entgegenkommt, man setzt sich breitbeinig hin«, verrät der Berater für Arbeitslose bei der Stadtmission Nürnberg.
Tim, der streng religiös aufgewachsen ist, bekommt es in der Zeit des Übergangs aber auch mit der Angst zu tun, »dass Gott mich aus seinem Himmel rausschmeißt«. Doch Gott habe sozusagen mit ihm gesprochen und ihm gesagt, dass es für ihn egal sei, ob er Angela oder Tim ist. »Das hat mir den Mut gegeben, weiterzumachen und ich hab mich getraut.«
Angela wird offiziell zu Tim. Sein Umfeld reagiert unterschiedlich auf den Schritt. Der Partner trennt sich, die Mutter bleibt gelassen, sorgt sich nur wegen der Hormone zunächst um die Gesundheit des Kindes. Für den Vater ist die Situation heute noch schwierig. Auch die Dreieinigkeitskirche in Nürnberg Gostenhof bekommt die Wandlung mit: Aus Angela, deren Kind den Kindergarten besucht und die noch eindeutig weiblich ist, wird für alle sichtbar Tim: »Dass mich jemand angegriffen oder verurteilt hätte, habe ich nicht erlebt.«
Als Mann fühlt er sich jetzt gut, »es ist richtig und stimmig«. Doch seinem früheren Leben gewinnt Tim Brügmann auch positive Seiten ab. Er habe bestimmte Fähigkeiten entwickelt, gerade weil er Mädchen gewesen sei und zwei Kinder bekommen habe.
Vor kurzem sei jemand »krachbumm« in sein Leben getreten. So sicher sei er sich noch nie gewesen, erzählt der Transmann. Dass es ihm gelinge, eine Partnerschaft zu haben, neben zwei Chören, der Arbeit und den Kindern, »das ist jetzt mein neuer Traum«.