Ihr neues Album heißt "You Still Got Me" – eine Liebeserklärung an Ihre Fans? Oder eine Drohung, dass Sie nicht leiser werden wollen?

Beth Hart: Ich habe das Lied für meinen Ehemann geschrieben. Eines Tages saß ich ziemlich fertig auf der Couch, wollte niemanden sehen und hören. Er kam und fragte mich: "Hey, brauchst du ’ne Umarmung?" Und ich sagte: "Ich habe nichts mehr in mir, das liebenswert wäre", er antwortete: "Du hast immer noch mich." In dem Moment habe ich mir gedacht, wie wundervoll, dass er das sagt, und ich bin rüber ans Piano und habe den gleichnamigen Song geschrieben. Meine Plattenfirma hielt den Titel dann gut genug für ein Album. Und die Geschichte ist natürlich auch gut, wenn jemand zu dir kommt und sagt, dass er für dich da ist.

Sie haben prominente Gastmusiker wie Slash mit dabei. Wie kam hier der Kontakt zustande und wie war die Zusammenarbeit?

Ich habe ihn nach einer Aufnahme-Session in Nashville einfach angerufen und gefragt, ob er sich vorstellen könnte, in einem der neuen Songs, "Savior with a razor", Gitarre zu spielen. Er war so nett zu mir, sagte, ich solle ihm einfach das Stück schicken. Und er schickte mir dann gleich mehrere Versionen zurück, hatte also wirklich hart daran gearbeitet und einen tollen Job gemacht. Slash ist so ein freundlicher Mensch.

"Wir leben in einer Männerwelt"

In Deutschland kritisieren Initiativen und Fans immer wieder, dass es so wenige Festivals mit weiblichen Musikern gibt und fordern sogar eine Quote. Was halten Sie davon?

Ich finde solch eine Quote lächerlich. Machen wir uns nichts vor: Wir leben in einer Männerwelt. Als Frau habe ich die Möglichkeit, mich darüber fürchterlich aufzuregen. Oder ich bin eine starke Persönlichkeit und einfach dankbar dafür, was mir Gutes über den Weg läuft. Es gehört zum Leben dazu, zu kämpfen. Ich zähle nicht nach, auf wie viele Festivals ich möglicherweise nicht eingeladen werde. Natürlich spreche ich nur für mich, nicht für Frauen im Allgemeinen. Aber ich hatte während meiner gesamten Karriere noch nie das Gefühl, im Musik-Business anders, also respektloser behandelt zu werden, weil ich eine Frau bin. Obwohl ich sehr jung angefangen habe. Ich denke aber, das liegt an der Energie, die ich ausstrahle, die Energie, mit der ich auftrete. Vielleicht habe ich also einfach Glück. Oder mir fällt es möglicherweise gar nicht so richtig auf, wenn ich anders als Männer behandelt werden würde.

In Oliver Schwabes Dokumentarfilm "Bad Woman Blues" werden Ihre Konzerte als "fast schon spirituelle Erfahrung" für Fans und Sie selbst bezeichnet. Wie spirituell sind Sie?

Ich wurde zwar nicht religiös erzogen, war aber schon als kleines Kind übermäßig sensibel, aber auch unsicher. Daher habe ich schon früh in der Schule immer zu Gott gebetet, einfach, um den Tag zu überstehen, um meine Ängste zu bekämpfen. Und ich fing an, die Kirche zu besuchen. Das hat mir in gewisser Weise Freude bereitet, Frieden gebracht. Ich liebe meine Pastorin, sie ist so eine beeindruckende Person. Sie pumpt mich richtig auf. Spiritualität dagegen lebe ich zu Hause im Garten aus, in der Ruhe. Pflanzen und die Natur können uns so viel lehren. Geduld zum Beispiel, oder einfach richtig zu atmen. Ich denke, alles was geschieht, geschieht aus einem Grund. Das alles gibt mir Kraft, hätte ich diese Überzeugungen nicht, würde ich mich wahrscheinlich ständig selbst bemitleiden. Oder wütend werden. Ich habe das alles schon hinter mir, und mich hat das nicht weitergebracht.

"Glaube ist kein Heilmittel"

In Interviews haben Sie immer wieder Ihren christlichen Glauben als Stütze beschrieben. Wie wichtig ist er für Sie?

Sehr wichtig. Die Gemeinschaft in der Gemeinde, zu wissen, ich bin niemals alleine, geliebt zu werden. Das hilft mir auch, nüchtern und gesund zu bleiben. Glaube ist kein Heilmittel, aber hilft mir, mich nicht zu verletzen oder zu zerstören.

Sie sprechen und singen sehr offen über Ihre Schwächen, Depressionen, Drogenprobleme. Haben Sie keine Angst, sich angreifbar zu machen?

Es ist mir gerade sehr wichtig, verwundbar zu bleiben. Ich habe eher Angst davor, es nicht zu sein. Denn ansonsten hätte ich das Gefühl, etwas zu verbergen. Ich möchte mich ja nicht belügen – daher ist es das Beste, was ich machen kann, offenzubleiben. Manche Leute mögen das nicht, sie wenden sich ab. Aber für mich und meine Show ist es wichtig, so offenzubleiben. Und ich habe ja glücklicherweise eine Menge Leute um mich herum, die sich um mich kümmern: meinen Ehemann, aber auch meine Band, die Crew und Familie. Angreifbar zu bleiben, das hilft mir auch, meine Füße auf dem Boden zu behalten.

"Beim Kochen, bei der Gartenarbeit, beim Wandern oder beim Schwimmen habe ich Glücksgefühle"

Auf der Bühne geben Sie alles und scheinen regelrecht geläutert. Wie lange dauert dieser Glückszustand in der Regel an, bis Sie wieder den Kick brauchen?

Sie werden lachen, aber es gibt noch ganz andere Situationen, die mich kicken. Zum Beispiel räume ich gerne zu Hause auf, putze und freue mich dann, wenn alles fein ausschaut. Oder auch beim Kochen, bei der Gartenarbeit, beim Wandern oder beim Schwimmen habe ich Glücksgefühle. Ich bekomme sogar einen Adrenalinkick, wenn ich Menschen beim Karaoke-Singen beobachte. Aber mit am meisten kickt mich das Songschreiben. Da bin ich regelrecht traurig, wenn ein gutes Stück fertig ist und ich es loslassen muss. Live dagegen ist es ehrlich gesagt nicht so, dass ich jedes Mal glücklich nach einer Show bin. Manchmal bin ich nervös und habe Angst, die Band hängenzulassen. Es gibt Abende, da fühle ich mich großartig und welche, bei denen ich mir wie der größte Verlierer vorkomme. Aber auch das hilft mir dabei, die Bodenhaftung nicht zu verlieren.

Info: Beth Hart kommt am 5. Dezember in die Kia Metropol Arena nach Nürnberg.

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