Viele Jugendliche sind nach den Pandemiejahren voller Zukunftsängste und Sorgen. Das spüren ihre Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner in der Jugendarbeit. Die evangelische Diakonin Ilona Schuhmacher, stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Jugendrings (BJR) und Referentin für Grundsatzfragen und Jugendpolitik bei der evangelischen Jugend in Bayern, rät dazu, Jugendlichen jetzt ganz genau zuzuhören.

"Die Ängste und die Sorgen vor der Zukunft sind spürbar."

Zwei Jahre sind nun seit dem ersten Lockdown in der Corona-Pandemie vergangen. Expertinnen, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrer und Eltern stellen fest, dass diese zwei Jahre junge Leute stark beeinträchtigt haben. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Schuhmacher: Zu mir hat mal ein junger Mensch in dieser Zeit gesagt: "Für dich sind mit Anfang 40 zwei Jahre nichts, aber für mich ist das ein halbes Leben". Das hat mich beeindruckt. Die Ängste und die Sorgen vor der Zukunft sind spürbar - und das muss nicht gleich pathologisch sein. Aber die Jugendlichen befinden sich in einer entscheidenden Lebensphase, in der sie den ersten Kuss erleben oder den 18. Geburtstag feiern. All das fiel weg; manche Studierende haben noch keine Universität von innen gesehen oder mussten ihr Auslandssemester absagen. Wir stellen fest, dass Supersportliche einige Kilo mehr drauf haben oder dass Jugendliche mehr Medien konsumieren.

Wie wirkt sich das dann auf die Jugendarbeit aus, zum Beispiel die der evangelischen Jugend?

Schuhmacher: Mir fällt auf, dass sich die Jugendlichen mittlerweile gerne auch mal per Zoom treffen wollen, anstatt sich live zu sehen. Vor allem für kürzere Treffen scheint es schwerer geworden zu sein, die eigene Komfortzone zu verlassen. In der offenen Kinder- und Jugendarbeit konnten wir beobachten, dass junge Menschen tolle Angebote anfangs gar nicht mehr nutzen wollten, sich einfach nur mit Freunden treffen wollten. Sie signalisieren uns, dass sie ihre Ruhe haben wollen - ohne Eltern oder kleine Geschwister, die in den vergangenen zwei Jahren 24 Stunden täglich in der Wohnung um sie herum waren.

"Nicht alle Jugendlichen wachsen in superstabilen Familien auf."

Ist das denn wirklich wichtig, die Jugendlichen aus dieser Komforthaltung herauszuholen? Es könnte sich doch in ein paar Monaten alles wieder normalisieren, die Pandemie vergessen sein?

Schuhmacher: Ich bin die erste, die dann gerne zugibt, dass sie sich getäuscht hat, wenn das so sein sollte. Aber viele Erfahrungen sagen uns, dass psychische Beeinträchtigungen in einem Jahr nicht wieder ausgeglichen sind und wir nachhalten müssen. Nicht alle Jugendlichen wachsen in superstabilen Familien auf, wir sollten da sensibel hinschauen. Die Jugendreferenten müssen als Seelsorgerinnen und Seelsorger zu Verfügung stehen. Wir können einen entscheidenden Beitrag leisten, Jugendliche physisch, psychisch und psychosozial wieder zu stabilisieren. Für uns als kirchliche Jugendarbeit ist es außerdem wichtig, dass wir spirituelle Angebote machen, die jungen Menschen in Verbindung zu Gott bringen. Konfirmandenarbeit per Zoom ist da nicht das Wahre. Wenn ich da an meine Zeit denke: Es waren immer die Begegnungen mit coolen Leuten, mit denen man vom Glauben begeistert wurde.

Ahnen Sie denn schon, wie sich die Jugendarbeit nach den zwei Jahren Pandemie verändern wird?

Schuhmacher: Ich denke, Jugendliche werden selektiver auswählen, werden versuchen, ihre Zeit möglichst sinnvoll zu gestalten. Unsere Angebotsformate werden sich verändern. Aber es ist ohnehin so, dass sich Jugendarbeit alle fünf Jahre wieder neu erfinden muss, weil sich in ihr wie in einem Brennglas die Entwicklungen der Gesellschaft abzeichnen. Unsere nächsten Themen werden die Digitalisierung sein, aber vor allem Klima- und Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und Armut, das kann man bereits sagen.