Kinder spielen in einem ausgeschlachteten Auto am Straßenrand, Männer sitzen schon Mittags mit glasigen Augen in Wellblechhütten und trinken Bier. Die Perspektivlosigkeit ist in Katutura, einem Vorort der namibischen Hauptstadt Windhuk, an jeder Ecke zu spüren. Die Arbeitslosigkeit im ehemaligen Township liege laut Statistiken bei rund 80 Prozent, viele Frauen prostituierten sich, die HIV-Rate sei hoch, erzählt Pfarrer Achim Gerber, der von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nach Windhuk entsandt ist.
Die Kirchen, unter anderem auch die deutschsprachige Evangelisch-Lutherische, wo Achim Gerber seinen Dienst tut, versuchen zu helfen. Eines der diakonischen Projekte ist Marias Kindergarten, in dem heute rund 20 Kinder und Jugendliche leben. Benannt ist er nach der 49-jährigen Maria, die selbst unter "harten Bedingungen" in Katutura großgeworden ist. Seit sie 17 Jahre alt war, kümmert sie sich um Kinder, die sie von der Straße geholt hat. "Ich kann es nicht aushalten, wenn ich Kinder schreien hören. Ich muss dann einfach auf sie aufpassen."
Herberge für Straßenkinder
Überall in Marias Haus liegen Teppiche herum, Tücher hängen an den Wänden und Fenstern. Es ist eng, nicht für alle Kinder gibt es ein Bett. Über die Jahre hat Maria Dutzende Kinder betreut - ihnen ein Dach über dem Kopf gegeben, sie mit Essen versorgt, mit ihnen gespielt oder Hausaufgaben gemacht. Kurzum: versucht, sie in eine bessere Zukunft zu führen. Viele gehen untertags zur Schule, um die ganz Kleinen kümmert sich dann Maria selbst. Viele sind ganz bei ihr eingezogen. Denn zu oft würden Kinder von ihren Eltern einfach ausgesetzt.
Eines dieser Kinder, die Maria mit großgezogen hat, ist die inzwischen 20-jährige Jessica. Sie lebt immer noch bei Maria und unterstützt sie bei der Kinderbetreuung. "Maria ist wie eine Mutter für mich", erzählt Jessica. Sie sei auf der Straße aufgewachsen, ihre Eltern kenne sie nicht. Irgendwann wolle sie aber ausziehen und arbeiten, sagt sie. Am liebsten als Lehrerin. Auf ihrem Arm hält sie die einjährige Chardonnay. Die Kleine strahlt, ballt ihre Fäustchen und brabbelt fröhlich vor sich hin. Auch sie lebt ohne Eltern.
Aids ist großes Problem im Township Katutura
Justina Shilongo, lutherische Diakoniepfarrerin in Windhuk, kennt die Nöte in Katutura. Der Name des Windhuker Vorortes kommt aus der Herero-Sprache und bedeutet in etwa "Ort, an dem wir nicht leben möchten". In den 1950er Jahren wurden dorthin die Schwarzen umgesiedelt. Rund 50.000 Menschen leben heute dort. Über allem stehe die Arbeitslosigkeit, weiß Shilongo. Ohne Arbeit kein Geld, keine richtigen Unterkünfte, keine Bildung. Manchmal teilten sich 20 Häuser in Katutura eine Toilette.
Auch die Familienplanung werde nicht ernstgenommen, sagt Shilongo. Ein Kind nach dem anderen werde in die Welt gesetzt, ohne dass die Eltern wüssten, wie sie sich um ihren Nachwuchs kümmern sollten. Kondome seien bei vielen verpönt. Wer auf sie bestehe, oute sich als HIV-infiziert oder unterstelle dies dem Partner. Laut UNAIDS der Vereinten Nationen waren im Jahr 2012 mehr als 13 Prozent der Namibier mit dem HI-Virus infiziert, eine der höchsten Raten weltweit.
Diakonie-Projekt in Namibia
Dazu kommt, dass diakonische Projekte in Namibia keine festen Strukturen oder sichere finanzielle Unterstützung haben wie etwa in Deutschland, erzählt Pfarrer Gerber. Der 48-Jährige ist bayerischer Pfarrer. Er stammt aus Ansbach und kennt daher die Unterschiede zwischen Deutschland und Namibia. Jemand habe eine Idee, setze sie um und suche sich dann finanzielle Unterstützung, wie etwa Maria mit ihrem Kindergarten. Oder auch Schwester Regine, die sich mit ihrem Projekt Hephata um geistig Behinderte kümmert.
Hilfe für behinderte Menschen
Schwester Regine ist schon über 70, sitzt im Rollstuhl, die Arbeit fällt ihr sichtlich schwer. Wenn sie nicht mehr könne, dann sei wohl auch mit Hephata Schluss, sagt Achim Gerber. In ihrem Wohnheim leben derzeit 18 geistig behinderte Menschen. Schwester Regine kümmert sich um sie, "denn sonst wären sie bei ihren Familien eingesperrt bei Wasser und Brot", erzählt sie. Würden sie alleine rausgehen, würden sie überfallen und vergewaltigt.
Seit 27 Jahren kümmert sich Schwester Regine mit Unterstützung der Christuskirchengemeinde der deutschsprachigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia um die "Verletzlichsten in der Gesellschaft". Familienbesuche gebe es bei Hephata so gut wie nicht, sagt Schwester Regine. Die Familien hätten ihre behinderten Angehörigen einfach abgegeben und sich dann nie wieder blicken lassen. "Behinderung ist ein Stigma in Namibia", bedauert sie.
Maria und Regine sind mit ihren Projekten nur zwei Beispiele für Hilfsprojekte in Katutura. Sie eint aber ein Gedanke: "Wir lieben das, was wir tun. Es ist keine Arbeit, sondern eine Berufung." Weitermachen wollen sie deshalb, solange es nur irgendwie möglich ist.