Er ist unbescholten, hat keine Straftaten begangen und soll doch nach Afghanistan abgeschoben werden: Mohammad F. aus Passau sitzt seit einigen Wochen in Abschiebehaft. Kein Weihnachten, kein Fest der Liebe konnte den 23-Jährigen vor einem Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt Erding bewahren. Dabei ist Mohammad das, was man einen Vorzeige-Geflüchteten nennen würde: Er spricht gut Deutsch, hat die Berufsschule absolviert und hätte einen Ausbildungsplatz in Aussicht gehabt.
Geholfen hat es ihm nicht. Mohammad soll in ein "unsicheres und gefährliches Land" abgeschoben werden, wie internationale Organisationen betonen. Massiv zugespitzt hat sich die Lage aktuell durch die kriegerischen Auseinandersetzungen im Iran. Laut Flüchtlingsrat startet der nächste Abschiebeflug nach Kabul am 14. Januar. Der Sammelflieger wird dieses Mal nicht über den Iran fliegen. Eine ukrainische Boeing 737, die in Teheran abstürzte, soll von einer iranischen Rakete abgeschossen worden sein. Nun haben die Flugverbände vorsorglich den Luftweg gesperrt.
Ob in dieser Krisensituation in Afghanistan immer noch als sicheres Herkunftsland gilt, will das Innenministerium in München nicht beantworten und verweist auf die Zuständigkeit des Bundes.
Aus dem Seehofer-Ministerium in Berlin heißt es dazu: "Die Bundesregierung beobachtet die Lage in Afghanistan sehr genau. Im Ergebnis sind Rückführungen nach Afghanistan nach wie vor möglich und verantwortbar", sagte Sprecher Markus Lammert dem Evangelischen Pressedienst epd. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei zwar weiterhin "volatil und weise starke regionale Unterschiede" auf. Es gelte daher der Grundsatz, dass sich keine pauschalen Aussagen über die Gefährdung Einzelner in Afghanistan treffen ließen.
Seit drei Jahren schiebt Bayern mit umstrittenen Sammelflügen nach Afghanistan ab. 30 Flieger hoben in dieser Zeit mit Flüchtlingen ab. Und das obwohl Innenminister Joachim Herrmann (CSU) versichert hatte, nur straffällige junge Männer auszufliegen. Als straffällig gelten in Bayern auch "Identitätsverweigerer", die keine Papiere aus ihrem Herkunftsland vorweisen können. Beim jüngsten Sammelflug saßen 40 Afghanen im Flieger, die Hälfte davon sollen "nicht straffällig" gewesen sein.
Mohammad ist ein trostloser, aber kein Einzelfall.
Dennoch hat er einen Stein ins Rollen gebracht. In Passau haben ehrenamtliche Helfer ein Netzwerk zum Schutz bedrohter Afghanen gegründet. Sie wollen verhindern, dass verfolgte Menschen aus ihrer Mitte gerissen und in ihr Verderben geschickt werden. Inzwischen haben auch andere Helferverbände in Bayern ihre Solidarität bekundet und wollen akut oder potenziell von Abschiebung bedrohte Afghanen schützen. In Kulmbach, Kronach, Würzburg und Coburg werden laut Kirchennetzwerk Matteo ähnliche Bündnisse aufgebaut.
Viele Menschen, darunter auch solche, die konservativ wählen, wollen nicht länger mit ansehen, dass man Menschen, die straffrei sind, so etwas antut. "Mohammad hat niemandem etwas getan und sitzt doch im Gefängnis", sagt Ludwig Schmidlehner vom Helferkreis Integration Passau, der sich der Aktionsgemeinschaft angeschlossen hat. Er hatte bereits zuvor eine Gruppe "Keine Abschiebungen in Kriegsgebiete" gegründet. Innerhalb von vier Wochen haben sich 302 Mitglieder angeschlossen, berichtet er.
"Diese Menschen brauchen unseren Schutz, wir müssen sie aus humanitären und christlichen Motiven heraus schützen", sagt Stephan Theo Reichel vom Kirchenasylverein Matteo, dem in Bayern allein 100 Kirchengemeinden angehören.
Er steht mit zahlreichen verfolgten Afghanen in Verbindung. Die meisten seien voller Panik und psychisch angeschlagen, wenn sie abgeschoben werden sollen. Sie müssten in ein Land zurück, das sie kaum kennen, in dem sie keine Angehörigen haben oder in dem sie vorher noch nie waren, wie Afghanen aus dem Iran.
Reichel versucht auch nach der Abschiebung Kontakt zu ihnen zu halten. Das gelingt nicht immer. "Wir wissen von einigen, dass sie zu Tode gekommen sind", sagt Reichel. Von einem Flüchtling, der aus Würzburg abgeschoben wurde, erfuhr er, dass er von den Taliban gefangen genommen wurde: "Das ist der Worst Case."
In der bayerischen Wirtschaft, in Handwerksbetrieben, im Fremdenverkehr und in der Gastronomie sind die asylsuchenden Afghanen geschätzt.
So setzte sich die Personalleiterin einer Landshuter Backwarenfabrik für einen Afghanen ein, der dort seit zweieinhalb Jahren arbeitete. Seine Abschiebung im Dezember konnte in letzter Minute verhindert werden. Und in Augsburg flog eine Mitarbeiterin der IHK mit sechs jungen Afghanen nach Neu-Delhi, um für sie ein Ausbildungsvisum zu bekommen. Das Flugticket finanzierten sich die jungen Männer durch eigener Hände Arbeit. "Sie waren so unendlich dankbar", sagt Josefine Steiger von der IHK.
Angesichts solcher Nachrichten falle es schwer, die rigorose bayerische Abschiebepraxis zu verstehen, sagt Reichel. Christlich konservative Menschen auf dem Land habe dies verunsichert. "Wir merken seit ein paar Monaten, dass die Stimmung sich wandelt", sagt Reichel. Die Menschen entdeckten ihre Sympathien für Flüchtlinge wieder. "Ich kenne keinen auch noch so flüchtlingskritischen Bürger, der sagen würde, man könne wunderbar nach Afghanistan abschieben."