Malerisch zwischen Steinblöcken und Almwiesen eingebettet, lädt die 1864 erbaute Krottentaler Alm oberhalb von Geitau bei Bayrischzell zum Verweilen ein. Die alten Holzbalken, die urige Bank und die zum Trocknen aufgehängten Gerätschaften vermitteln den Eindruck, als sei hier die Zeit stehen geblieben. Lediglich ein kleines Solarbauteil am Giebel ist ein Zugeständnis an die Moderne. Sennerin Martina Fischer macht schnell klar, dass das Leben hier auf 1.437 Metern Höhe besonderen Gesetzmäßigkeiten folgt.
"Die Krottentaler Alm ist bis jetzt die ursprünglichste und am höchsten gelegene Alm, wo ich war", sagt die gelernte Krankenschwester, die seit 2011 schon verschiedene Almen bewirtschaftet hat. Das Wetter in auf der Krottentaler Alm sei rauer, es gebe weder fließendes Wasser noch Strom und nur ein Plumpsklo. Nachts sorgen eine Gaslampe und kleine Lichter aus dem Baumarkt für Orientierung. Das Solarpaneel, erklärt Fischer, diene nur zum Aufladen des Mobiltelefons – ihr Draht zur Außenwelt.
Warum verzichtet jemand den Sommer über freiwillig auf jeglichen Komfort? "Behütet und beschützt von der Natur, den Tieren und dem Leben – das ist für mich Glück", sagt die Pruttingerin stolz, die von Juni bis September auf der Alm bis zum Almabtrieb lebt. Ins Rollen kam die Sache 2010, als sie bei Almbesuchen bei der Frau ihres Cousins tatkräftig mit anpackte.
Bereits davor hatte sich die Krankenschwester immer wieder die Sinn-Frage gestellt: Tag für Tag in geschlossenen Räumen verbringen, als Rädchen im Getriebe mit engem Zeitplan zu funktionieren, begleitet von Alarm, Hetze und dem Blick auf die Uhr. "Mir war klar geworden, dass diese Tätigkeit nicht nur Stress verursachte, sondern auch meine Seele unglücklich gemacht hat." Lange Diskussionen mit ihrem Mann Franz folgten, bevor ein "Bewerbungsgespräch" beim Bauern den Weg auf die Alm ebnete.
"Die Natur gibt den Rhythmus vor"
Als Bauerskind konnte Fischer auf wichtige Erfahrungen zurückgreifen. Das hilft ihr jetzt bei den vielfältigen Aufgaben als Almerin: Sie reichen von der Versorgung und dem täglichen Zählen der Kälbchen und Jungkühe über das Melken der Milchkühe samt Weiterverarbeitung der Milch zu Rahm, Butter, Käse und Topfen. Ebenso sind die Zäune, Quellen und Brunnen zu kontrollieren, die Almwege auszukehren, die Almwiesen beim "Schwenden" von unerwünschtem Bewuchs zu befreien oder Gäste zu bewirten. Da ist so ein Tag, der um 4.30 Uhr beginnt, schnell rum.
"Die Zeit hat hier eine andere Qualität", sagt die Sennerin, die im Winter als ambulante Krankenpflegerin arbeitet und für ihre Zeit auf der Alm alle Urlaubstage und Überstunden nimmt. "Statt Multitasking konzentrierst du dich auf das, was du gerade machst. Die Kühe und die Natur geben dir ihren Rhythmus vor, und du blickst am Abend stolz auf das, was du geleistet hast – mehr als bei einem Computerjob." Die starke Verbundenheit mit den Tieren und der Natur schütze sie vor Einsamkeit. "Da ist mancher im Tal mit all seinen Zerstreuungen und Ablenkungen sicher oft einsamer", glaubt Martina Fischer.
BUCH-TIPP
Fototagebuch mit Schmankerlrezepten
EIN FOTO-TAGEBUCH mit Geschichten vom Alltag als Sennerin auf der Rampoldalm und der Laubensteinalm hat Martina Fischer 2016 herausgebracht. "Die Alm – ein Ort für die Seele" enthält neben Rezepten von leckeren Almgerichten und Tinkturen von Heilpflanzen auch Tipps vom Almwirtschaftlichen Verband Oberbayern zur Frage, wie man Senner bzw. Sennerin werden kann.
IM RAHMEN EINER LESUNG ist Martina Fischer am 29. September um 19 Uhr in der Einhorn Apotheke München (Franz-Marc-Str. 6) zu Gast. Weitere Termine findet man unter www.randomhouse.de. Martina Fischer: Die Alm – Ein Ort für die Seele, 240 Seiten, Kailash Verlag 2016, ISBN: 978-3-424-63118-0, 19,99 Euro.
Viescheid und Almabtrieb in Bayern: Tipps für Bayern gibt es hier.