Um genau 3.30 Uhr blieb am 15. Juli 2021 die große elektrische Uhr in der Aula der Barbarossa-Gesamtschule in Sinzig stehen, sagt Lehrerin Viola Langer tonlos. Da erreichte der Wasserpegel bereits weit über 2,50 Meter. Die Realschullehrerin spricht, als wäre das Inferno erst gestern passiert. Das Erschrecken des Ausmaßes kann sie kaum in Worte fassen. Sie, die oberhalb von Bonn eine gute halbe Stunde von Sinzig entfernt wohnt, sah erst am Morgen des 15. Juli, in ihrer Schule, was sie bis heute kaum fassen konnte: Schlamm, Dreck, Wasser, Stühle, Tische, Bücher, Computer, Akten, alles schwamm in einer unglaublichen Kloake durcheinander.

"Total surreal", kommentiert ihr Kollege Matthias Sauer. Der 32-jährige Lehrer wohnt in Koblenz, 20 Minuten pendelt er nach Sinzig. Gegen Mitternacht bekam er von einer Elternsprecherin eine Kurznachricht auf sein Smartphone: "Hier regnet es mächtig, ist morgen überhaupt Schule?" In Koblenz, so erinnert er sich, tröpfelte es nur ein wenig.

Schüler*innen aus Sinzig können dank des Rotary Club Herzogenaurach im Schullandheim eine Woche Pause machen

Die Natur kannte im Ahrtal kein Erbarmen. Das Wort Tsunami macht die Runde, wenn die Gruppe versucht, das Geschehen jener Nacht in Worte zu fassen. 43 Schülerinnen und Schüler und ihre sechs Lehrkräfte, darunter Langer und Sauer, sind im idyllisch gelegenen Schullandheim oberhalb des Marktes Heidenheim in der Hahnenkamm-Region in Westmittelfranken zu Gast, 400 Kilometer entfernt vom heimischen Sinzig.

"Eine Woche ohne Baustelle, ohne Matsch und Dreck, wir freuen uns riesig",

spricht Viola Langer den Teilnehmern aus dem Herzen.

Das Projekt hat der Rotary Club Herzogenaurach organisiert. "Wir waren uns bewusst, dass wir nur einen kleinen Beitrag leisten können", sagt Club-Präsident Helmut Hetzel. Die Kinder sollten im Vordergrund der Hilfe stehen. Der Club hat Kontakte zu Schulen aus dem Ahrtal geknüpft und vorgeschlagen, ihnen "eine Woche gemeinsames Erleben zu schenken", erläutert der Präsident. Die Barbarossa-Gesamtschule in Sinzig wurde gefunden, einer Stadt von der Größe von Gunzenhausen im Kreis Ahrweiler am Mittelrhein in Rheinland-Pfalz.

Als geeignete Unterkunft wurde das Schullandheim in Heidenheim für das Projekt auserkoren, Spenden akquiriert, Busunternehmen gefunden, die Stadt Gunzenhausen gewährte freien Eintritt ins Hallenbad, der BRK-Kreisverband Südfranken führte einen kostenlosen Erste-Hilfe-Kurs durch, der Rotary Club Weißenburg vermittelte Kontakte vor Ort und die Rotarier aus Herzogenaurach verkauften an zwei Samstagen "Flutwein" aus dem Ahrtal und Bratwürste. Durch weitere Spenden auch aus Rheinland-Pfalz kamen 18.000 Euro zusammen. Die Firma Puma aus Herzogenaurach spendierte jedem Kind einen Fußball und einen Rucksack. Im Niedrigseilgarten, beim Beobachten seltener Vögel und Pflanzen auf der Vogelinsel im Altmühlsee oder bei einer Wanderung konnten die Kinder die Schreckensmomente des vergangenen Sommers vergessen.

Der Schrecken der Flut sitzt tief in den Köpfen der Kinder und ihrer Familien

Lehrerin Tanja Montua erzählt von einer syrischen Familie, deren Tochter an ihre Schule geht. Die gehbehinderte Mutter habe ihre vier Kinder aus dem Haus geschickt, als das Wasser bedrohlich näher kam: "Lauft um euer Leben und lasst mich hier zurück." Die Kinder liefen alle los. Doch kurz danach kehrte ihr Bruder um, schulterte seine alte Mutter und rettete ihr so ihr Leben.

Für eine ehemalige Schülerin von Lehrer Thomas Krupa bedeutete das Wasser den Tod. Die 20-Jährige sei vom Keller ins Erdgeschoss gelaufen, habe die Haustür aufgerissen und sei durch die Wucht der Welle frontal getroffen und dann mitgerissen worden. Sie wurde eines von insgesamt 134 Opfern der Katastrophe im Ahrtal.

Auch wenn längst nicht alle Kinder der Barbarossa-Schule persönlich betroffen waren, steckt das Geschehene noch tief in ihnen. Der 13-jährige Redwan drückt sich so aus:

"Das war voll krass, die Toiletten, die Turnhalle einfach weg. Überall Wasser. Und so hoch. Schlimmer als im Fernsehen."

Försterin Heike Grumann von den Herzogenauracher Rotariern hatte die Woche über die organisatorischen Fäden in den Händen. "Es hat mir Riesenspaß gemacht, den Kindern eine kleine Abwechslung anzubieten", sagt sie nach der besonderen Projektwoche. Die Mühe habe sich gelohnt, "weil so viele Menschen so viel Gutes beigetragen haben", sagt Grumann. Die Leiterin der Barbarossa-Schule, Uta Erlekamp, sagt: "Das war eine richtig super Sache." Es seien diese wichtigen, positiven Momente, die ihr das Arbeiten wieder leichter machten.