Früher durfte sie kommen, wann immer sie wollte: Roland T. (Name geändert) freute sich jedes Mal sehr, seine Enkelin zu sehen.
Überglücklich war er, wenn sie ihn aus dem Heim abgeholt hat und er einen Tag bei ihr verbringen konnte. Doch das ist seit Oktober nicht mehr möglich. Nun erfuhr der 79-Jährige, dass er wegen der Corona-Regeln seines Heims auch an Heiligabend nicht zu ihr gehen darf.
"Da hat er geweint", erzählt seine Enkelin Maria R. (Name geändert). Die Unterfränkin schluckt: "Es war das erste Mal, dass ich ihn weinen gehört habe."
Pflegeheimbewohner leiden sehr unter der Corona-Isolation
Außenstehende würden sich keine Vorstellung machen, wie sehr Pflegeheimbewohner unter der Corona-Isolation leiden, meint Maria R., selbst examinierte Pflegekraft.
Ihr Opa, bei dem die 31-Jährige aufgewachsen ist und zu dem sie deshalb eine innige Beziehung hat, habe sich in den letzten Monaten verändert: "Er ist frustriert, ich möchte sogar sagen depressiv."
Neulich sagte er zu ihr: "Was soll's, was ich will, interessiert ja doch niemanden." Ihr Großvater sei zeitlebens ein sehr aktiver Mensch gewesen: "Solche Worte habe ich niemals zuvor von ihm gehört."
Natürlich sei das Coronavirus gefährlich. "Darum versucht man alles, um die Menschen zu schützen - doch man riskiert, dass sie letztlich an Einsamkeit sterben", sagt Maria R. Dass selbst an Weihnachten so rigide verfahren wird, findet sie skandalös.
Mit ihrem richtigen Namen möchte Maria R. allerdings darauf nicht aufmerksam machen. Sie befürchtet Nachteile für ihren Opa. R. berichtet von negativen Erfahrungen, die hinter beiden liegen. Als sie auf einen gravierenden Pflegefehler aufmerksam machte, hieß es trocken: "Suchen Sie sich halt ein anderes Heim."
Der Versuch, ein Weihnachtstreffen zu organisieren scheiterte
Um ihren Opa aus seiner Untergangsstimmung zu reißen, versucht Maria R. alles, dass ein Besuch an Weihnachten doch noch möglich würde.
Sie organisierte ihre Arbeit so um, dass sie zwei Wochen vor Weihnachten ausschließlich im Homeoffice hätte tätig sein können, um so ihre Kontakte und damit auch das Ansteckungsrisiko zu minimieren.
Das sagte sie dem Heim - doch das will keine Ausnahme zulassen. R. war fassungslos. Schließlich zahlt ihr Opa monatlich fast 2.500 Euro für den Heimplatz - oder, wie er selbst inzwischen sagt: für sein Gefängnis: "Selbst an Heiligabend darf ich ihn nur 30 Minuten im Heim besuchen, das ist doch nichts."
Die Verantwortung liegt bei den Heimen
Der Staat schiebe die Verantwortung allein auf die Heime ab, moniert die Grünen-Landtagsabgeordnete Kerstin Celina, die auch sozialpolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist.
Auf ihre Initiative hin wurde ein Dringlichkeitsantrag in den Landtag eingebracht - darin war ein Bündel von Maßnahmen aufgelistet, das ein Weihnachten in Sicherheit und Geborgenheit für alle umsetzbar machen sollte.
Dafür gab es aber keine Mehrheit. "Einsperren im Heim ist schlicht grundgesetzwidrig", sagt sie und appelliert an Angehörige, sich in solchen Fällen bei der örtlichen Heimaufsicht zu beschweren.
Münchner Kreisverwaltungsreferat: Verlassen der Einrichtung sowie Besuche im Heim ermöglichen
Das Münchner Kreisverwaltungsreferat teilt mit Blick auf die bevorstehenden Feiertage mit, dass kein Bewohner am Verlassen einer Einrichtung gehindert werden dürfe, solange keine etwaige Anordnung des Gesundheitsamts oder ein Gerichtsbeschluss vorliegt.
"Das gilt auch für den Familienbesuch an Heilig Abend", sagt Sprecher Johannes Mayer. Die Münchner Heimaufsicht erhielt zwischenzeitlich mehrere Beschwerden aufgrund zu rigider Einschränkungen. "In manchen Fällen" seien unverhältnismäßige Besuchseinschränkungen festgestellt worden, erläutert er.
Auf den Heimen lastet ein großer Druck
Matthias Matlachowski, Vorstand der Alzheimer-Gesellschaft in Bayern, weiß, dass demenziell erkrankte Menschen unter strengen Kontaktregeln besonders leiden: "Aber wir wissen auch, welcher Druck bei gleichzeitig nicht ausreichend vorhandenen Ressourcen auf nahezu allen Einrichtungen lastet."
Der akute Personalmangel in der Pflege werde durch die Pandemie noch einmal drastischer. Nun verließen zahlreiche frustrierte, demotivierte Mitarbeitende den Altenhilfesektor, "denn Klatschen und eine Prämie von 500 Euro reichen halt nicht aus", sagt Vorstand Matlachowski.
Heime der Diakonie Bayern: Maßnahmen vom Infektionsgeschehen abhängig
In den Heimen der Diakonie in Bayern soll eine so drastische Reglementierung wie ein Heimfahrverbot an Weihnachten wann immer möglich verhindert werden. "Wir hoffen nicht, dass eine so gravierende Maßnahme in einer unserer Einrichtungen nötig sein wird", sagt der Sprecher des evangelischen Sozialverbandes, Daniel Wagner.
Dies sei allerdings jeweils abhängig vom lokalen Infektionsgeschehen, erläutert er. Die aktuelle Situation sei für Bewohnerinnen und Bewohner fraglos sehr schwierig, räumt Wagner ein: "Vor allem die Einsamkeit ist belastend."
Landesseniorenvertretung Bayern: Sicherheitskonzepte grundsätzlich mit Bewohnern abstimmen
Ein Familienbesuch an den Feiertagen dürfe jedenfalls nicht pauschal verboten werden, warnt die Landesseniorenvertretung Bayern (LSVB). Gerade an Weihnachten dürften Besuche im Heim zeitlich nicht zu stark begrenzt sein.
"Die Bewohner brauchen das, ihre Kinder und Enkel zu sehen", betont LSVB-Vorsitzender Franz Wölfl. Die Seniorenvertretung fordert, dass Sicherheitskonzepte grundsätzlich mit den Bewohnern abgestimmt werden: "Alte Menschen haben das Recht, selbst zu bestimmen." Fürsorge sei wichtig: "Doch sie darf nicht in Bevormundung umschlagen."