Seit Jahren bin ich mit einer Frau im Briefkontakt, die oft in der Psychiatrie lebte, zwischendurch auch in einer Wohngruppe, dann wieder bei den Eltern und momentan wieder in der Psychiatrie. Anfangs war der Kontakt mühelos, weil sie viel von mir und meinem Leben wissen wollte und ich von ihrem. So hatten wir einander manches zu erzählen.
Früher hat sie immer sofort geantwortet. Mit der Zeit dauerte es dann immer länger. Ich habe ihr Kleinigkeiten geschickt, Engelkarten etwa oder Blumen. Es änderte sich nichts. Vor drei Jahren hat sie sich sehr lange nicht gemeldet, dann kam die kurze Mitteilung, dass sie einen Suizidversuch hinter sich habe und wieder in der Psychiatrie gelandet sei.
Mir stellt sich immer drängender die Frage: Ist es denn sinnvoll, von meinem Alltag zu erzählen? Es klingt so banal angesichts ihrer Not. Die letzte Nachricht wies wieder auf einen Suizidversuch hin.
Was soll ich tun? Was soll ich ihr schreiben? Wie kann ich ihr zeigen, dass ich sie nicht vergessen will? Sicher weiß ich nur eins: Ich möchte sie auf keinen Fall aufgeben! Es gibt ja sonst kaum noch Menschen, die ihr beistehen.
So lange schon kümmern Sie sich um Ihre Briefpartnerin. Treu und unbeirrt, mit viel Liebe und Fantasie. Nun ist es schwierig geworden. Ihre Beziehung gleicht einer Einbahnstraße. Es kommt nichts oder kaum noch etwas zurück. Da ist es so verständlich, dass Sie sich unsicher fühlen. Ja, es wäre auch nachzuvollziehen, wenn Sie sich langsam aus dieser Beziehung verabschiedeten. Aber genau an dieser Stelle sagen Sie mit großer Gewissheit: "Ich möchte sie auf keinen Fall aufgeben!"
Ich bestärke Sie darin, denn es macht wirklich einen Unterschied, ob Sie sich zurückziehen oder ob Sie auch weiterhin mitfühlen und mitdenken und sich um Kontakt bemühen, wie eingeschränkt auch immer dieser ausfallen mag. Konzentrieren Sie sich doch bitte einfach auf das, was von Ihnen her möglich ist und vertrauen Sie dabei Ihrem Gefühl. Mit einem guten Gewissen und in der Zuversicht: Was ich tue, ist sinnvoll, auch wenn kaum noch etwas zurückkommt.
Wenn Ihnen also danach ist, etwas von sich und Ihrem Alltag zu erzählen (vermutlich eher kürzer), dann tun Sie es doch. Wenn Sie Ihrer Briefpartnerin etwas weitergeben wollen, was sie erreichen könnte, dann tun Sie es. Ein gutes Wort vielleicht, das Sie gefunden haben, einen Bibelvers, der Ihnen hilfreich erscheint, eine Liedstrophe, die Ihnen selbst kostbar ist, eine Gedichtzeile, die Sie mögen. Was immer Sie tun und wofür immer Sie sich entscheiden, es wird ankommen und es wird sagen: Ich denke an dich, du bist mir wichtig, du bist nicht allein.
Dabei ermutige ich Sie sehr, nicht beim Zwischenmenschlichen zu bleiben, sondern auch Gott mit einzubeziehen. Auch dies macht einen Unterschied, und es wird für Sie beide anders sein, wenn Sie mitüberlegen: Wofür möchte ich Gott danken? Worum möchte ich ihn bitten? Wie will ich mich im Vertrauen üben? Vielleicht kennen Sie auch Verse, ein Morgenlied, ein Abendlied, das Vaterunser, einen Psalm, die Sie regelmäßig, wie ein Ritual, sprechen können. Immer würden Sie damit sagen: Guter Gott, bleibe doch bei meiner Brieffreundin. Lass sie spüren, dass Sie nicht allein ist. Gib ihr Kraft, den Weg zu gehen, der ihr zugemutet wird. Bleibe auch bei mir und bei allen Menschen, die dich heute brauchen.
Ich bin mir ganz sicher, dass Sie in all dem nicht nur geben, sondern auch empfangen, nicht nur schenken, sondern auch beschenkt werden.