Sufismus ist für mich das ständige Bestreben, das eigene Herz zu veredeln. Damit ist die Kultivierung bestimmter Eigenschaften gemeint, wie Liebe, Mitgefühl, Harmonie, Geduld, um nur einige wenige zu nennen. Diese »Veredelung« geschieht durch die unablässige Erinnerung an Gott, oder die Quelle, aus der wir alle stammen. Genau diese Hingebung an das Herz hat mich zum Sufismus hingezogen.

Vor fünf Jahren trat ich dem Inayati Orden bei. Gegründet wurde diese Sufi-Linie von Hazrat Inayat Khan, ein indischer Meister, der 1910 als einer der ersten Lehrer den Sufismus in den Westen brachte. Sein Ansatz ist »universalistisch«, das heißt, in seiner Linie wird das verehrt, was durch alle Religionen hindurchleuchtet – nämlich die Liebe. In anderen Worten: Der universale Sufismus kündet von der tiefen Einheit im Kern aller großen Religionen.

Obwohl im Islam eingebettet, versteht sich der Sufismus als das Ergebnis der Weisheit vieler Propheten, zu denen Jesus, Moses, David, Salomon und Abraham gezählt werden. Eine Besonderheit der Schule von Hazrat Inayat Khan ist der universelle Gottesdienst.

In der Mitte eines Altars brennt eine Kerze als Symbol für das Gotteslicht oder die Göttliche Präsenz. Um das Gotteslicht herum stehen acht weitere Kerzen symbolisch für die großen Weltreligionen. Neben den Kerzen befinden sich die heiligen Bücher aus der jeweiligen Religion. Nach und nach werden die Kerzen angezündet und ein kurzer Text aus den Schriften vorgelesen. Zur Einstimmung wird gerne Musik aus den verschiedenen spirituellen Traditionen gespielt, eventuell wird auch getanzt. Die Lesung endet mit einem Gebet, das die lebendige Gegenwart der großen Lehrer, Meisterinnen, Heiligen, Propheten und Prophetinnen der Menschheit in den diversen Religionen würdigt.

Sufismus ist: Präsenz im Herzen

Diese Form des Gottesdiensts hat mich sehr berührt und inspiriert. Deshalb ließ ich mich zum sogenannten Cherag ausbilden. Cherag bedeutet »Lichtbringer«. Sie sind diejenigen, die den universalen Gottesdienst in eigener Verantwortung gestalten und leiten. Vor über einem Jahr wurde ich von Pir Zia Inayat Khan, dem Enkel von Hazrat Inayat Khan, ordiniert und leite seitdem von Zeit zu Zeit solche universalen Gottesdienste. Außerdem treffe ich mich regelmäßig mit anderen Sufi-Praktizierenden, um gemeinsam zu meditieren, zu beten, in Stille zu sitzen oder einfach gemeinsam Tee zu trinken und zu plaudern.

Für mich ist der Sufismus eine Lebensweise, bei der Präsenz, vor allem Präsenz im Herzen, in jeder Situation geübt oder zumindest angestrebt wird. In den schönen und weniger schönen Situationen, die das Leben mit sich bringt,

ist er mein Begleiter und Anker.

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