Was sind Staatsleistungen überhaupt?

Staatsleistungen sind Zahlungen, die der Staat, beziehungsweise die einzelnen Bundesländer, an die evangelische und katholische Kirche in Deutschland leisten. Sie sind von der Kirchensteuer zu unterscheiden und betragen aktuell rund eine halbe Milliarde Euro pro Jahr.

Weshalb gibt es die Staatsleistungen?

Die Gelder fließen als Entschädigung für die Enteignung kirchlicher Güter und Grundstücke im Zuge der Säkularisierung Anfang des 19. Jahrhunderts. Damals waren die Kirchen gezwungen, Ländereien und Geld abzugeben. Im Zuge des sogenannten Reichsdeputationshauptschluss vereinbarten Kirchen- und Staatsvertreter 1803 die Zahlung der Staatsleistungen als Ausgleich.

Millionen-Zahlungen, obwohl weniger als die Hälfte der Deutschen überhaupt noch Mitglied in einer der beiden großen Kirchen ist?

Anne Gidion, Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, sieht die Anzahl der Kirchenmitglieder nicht als ausschlaggebend für die Berechtigung der Zahlungen. Im Gespräch mit dem Sonntagsblatt sagte Gidion: "Ausschlaggebend ist die Tatsache, dass der Staat den Kirchen im Zuge der geschichtlichen Entwicklung (vor allem während der Reformation und 1803 durch den sogenannten Reichsdeputationshauptschluss) viele Vermögenswerte entzogen hat, aus deren Erträgen sie sich vorher finanzieren konnten. Bislang dienen die - übrigens bereits pauschalierten - Staatsleistungen dazu, diesen Verlust der regelmäßigen Erträge auszugleichen." Zudem nähmen die Kirchen ihren Auftrag "für die gesamte Gesellschaft wahr und nicht nur für ihre Mitglieder". Hierfür würden diese Gelder – wie auch das weitere Vermögen der Kirchen – eingesetzt.

Wer bezahlt die Staatsleistungen?

Die Bundesländer bezahlen die Staatsleistungen an die Kirchen aus Steuermitteln – und damit alle deutschen Steuerzahler*innen unabhängig davon, ob sie Mitglied einer Kirche sind, oder nicht.

Wie hoch sind die Staatsleistungen?

2022 betrugen die Staatsleistungen knapp 600 Millionen Euro. Je nach Bundesland machen die Zahlungen einen unterschiedlich großen Teil der gesamten Einnahmen der Kirchen aus. In der evangelischen Kirche machten die Staatsleistungen im Jahr 2021 bei einem Haushaltsvolumen von insgesamt circa 14,5 Milliarden Euro rund 320 Millionen Euro aus: "Das waren somit auf den ganzen Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bezogen etwa 2,2 Prozent", so Anne Gidion zum Sonntagsblatt.

Wie lange wird es die Staatsleistungen noch geben?

Bereits bei der Festlegungen der Staatsleistungen 1803 war vereinbart worden, dass die Zahlungen zeitlich begrenzt geleistet werden sollten.1919 wurde dann in der Weimarer Verfassung die Verpflichtung festgehalten, die Dauerzahlungen mit einer Einmalzahlung zu beenden, passiert ist seitdem jedoch nichts. Auch in das Grundgesetz wurde dieser sogenannte Ablöseauftrag übernommen, bis 2021 kümmerte sich jedoch keine Regierung insofern darum, dass sie sich mit den Kirchen auf eine Ablösesumme einigte.

Wie geht es jetzt weiter?

2021 brachten die damaligen Oppositionsparteien einen Gesetzesentwurf ein, der eine einmalige Ablösesumme vom 18,6-fachen Wert der jährlichen Zahlungen vorsah – also bei 590 Millionen Euro im Jahr knapp 11 Milliarden Euro. Der Entwurf bekam jedoch im Parlament nicht ausreichend Unterstützung. Die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP vereinbarten anschließend Ende 2021 in ihrem Koalitionsvertrag, "im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen" zu schaffen und dazu ein "Grundsätzegesetz" zu verabschieden.

Anfang 2023 fanden erste Gespräche zwischen Bundesinnenministerium, Kirchen und Ländern statt, im Laufe des Jahres sollen die Bedingungen für eine grundsätzliche Regelung ausgehandelt werden. Die Verhandlungen über die konkrete Höhe der Ablösesummen müssten danach die Länder führen, weil sie die Zahlungen leisten und das Gegenüber der Kirchen in den entsprechenden Staatsverträgen sind.

Was sagt die evangelische Kirche dazu?

Anne Gidion sieht diesen Entwicklungen optimistisch entgegen: "Die evangelische Kirche begrüßt die geplante Ablösung der Staatsleistungen und beteiligt sich an den Überlegungen des Bundes zur Vorbereitung dieses Vorhabens. Die Ablösung erfolgt durch Entschädigung für die aktuell vertraglich vereinbarten Leistungen, welche selbst Ersatzleistungen für die umfangreichen Verluste darstellen, die historisch begründet sind." Es ginge dabei nicht um "Privilegien".

Eine Lösung könnte Gidions Meinung nach so aussehen: "Wir halten einen Wertersatz nach dem Äquivalenzprinzip für richtig. Äquivalenz meint, dass die Ablösung so hoch sein muss, dass eine dauerhafte finanzielle Deckung der kirchlichen Arbeit gesichert ist, die bisher durch die Staatsleistungen ermöglicht wurde. Denn das ursprünglich enteignete Vermögen steht als Ertragsbasis für diese Aufgaben eben nicht mehr zur Verfügung." Entscheidend sei, dass die Kirchen weiterhin ihre seelsorglichen und ihre sozialen und gesellschaftlichen Leistungen erbringen können.

Was würde das Wegfallen der Staatsleistungen für die evangelische Kirche bedeuten?

"Empfindlich treffen" würde ein Wegfall der Staatsleistungen einzelne Regionen, meint Anne Gidion. "2,2 Prozent mag zunächst nach einem geringen Anteil klingen. Allerdings müssen die einzelnen Landeskirchen für sich betrachtet werden. So macht in manchen Landeskirchen der Anteil der Staatsleistungen am jeweiligen Haushalt mehr als 10 Prozent, in Einzelfällen sogar mehr als 20 Prozent, aus."

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