Jedes Jahr kommt am dritten Adventssonntag früh am Morgen das Friedenslicht aus Bethlehem am Münchner Hauptbahnhof an. Dutzende Pfadfinder warten dann auf dem eisigen Bahnsteig und sorgen mit ihren Laternen dafür, dass die Flamme weitergetragen wird: in Kirchengemeinden, Rathäuser, Schulen und Wohnzimmer in Bayern.

Auch im Corona-Jahr 2020 ist die Aktion, die der Österreichische Rundfunk (ORF) seit 1986 jedes Jahr initiiert, fest eingeplant: Auch Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und Kardinal Reinhard Marx haben angekündigt, das Friedenslicht bei ihrem ökumenischen Weihnachtsgottesdienst zu verteilen. Ein Scheitern der Mission: nicht vorgesehen.

Das Friedenslicht im Jahr 2020

"Mich freut es riesig, dass das Friedenslicht so etabliert ist", sagt Andrea Söhnholz von der AG Friedenslicht der "Ringe deutscher Pfadfinderinnen- und Pfadfinderverbände".

Allerdings sei der Druck angesichts der Erwartungen hoch. Denn die Kerze aus dem Heiligen Land hat in diesem Jahr einiges an Grenzen, Risikogebieten, Quarantänebestimmungen und Abstandsregeln zu überwinden. Dennoch sagt die Ehrenamtliche vom Verband Christlicher Pfadfinder (VCP): "Wir sind per Glaube und per Planung sehr zuversichtlich, dass es auch dieses Jahr klappt."

Der Ablauf

Schon der Start läuft 2020 anders ab: Statt eines österreichischen Kinds hat diesmal ein Jerusalemer Mädchen die Kerze entzündet, die bereits per Flugzeug in die Alpenrepublik befördert wurde. Den großen Aussendegottesdienst, zu dem sonst Hunderte Pfadfinder anreisen, gibt es am Samstag (12. Dezember) diesmal live aus Salzburg im Internet.

"Alle beteiligten Nationen sind mittels Videobotschaft vertreten", berichtet Söhnholz. Anschließend bringen österreichische Pfadfinder die Kerze an die Landesgrenzen.

Ab dann sind Organisationstalent und Improvisationskunst der deutschen Pfadis gefragt. Wie überreicht man eine wind- und wetteranfällige Kerze coronakonform unter den Augen des Bundesgrenzschutzes? Kein Problem, sagt Andrea Söhnholz, der das Pfadfinder-Motto "Allzeit bereit" und eine gehörige Portion Gelassenheit in ihren vielen Pfadfinderjahren längst in Fleisch und Blut übergegangen sind: "Der eine stellt mit einem freundlichen Diener die Laterne ab und geht drei Schritte zurück. Der andere geht vor und holt sich das Licht."

Man habe extra kleinere Grenzorte gewählt, die nicht veröffentlicht würden, um kein Publikum anzuziehen. Und statt in Stammesstärke mit der Bahn anzureisen, fahren Mini-Teams mit Autos an die Übergabeorte. Auf vier festgelegten Routen kommt das Licht dann an Orte in ganz Deutschland: nach Stuttgart, Leipzig, Hannover, Kiel, und von dort aus immer weiter verästelt bis nach Lübben im Spreewald, Leck an der dänischen Grenze und Bochum im Ruhrpott. Eine interaktive Karte auf der Homepage der Friedenslicht-AG und die üblichen Social-Media-Kanäle erleichtern Organisation und spontane Planänderungen.

Das Hygienkonzept

"Eins ist klar: Wir wollen uns an alle Regeln halten!", bekräftigt Söhnholz. Ein nahezu kontaktloser Staffellauf sei deshalb Pflicht - das schulde man der Vorbildfunktion der Pfadfinder. Die teilweise widersprüchlichen Regeln in der Pandemie machen die Organisatorin nachdenklich: "Das eine ist erlaubt, das andere nicht."

Doch ganz aufs Friedenslicht zu verzichten, sei keine sinnvolle Option: "Es ist zurzeit wichtiger denn je: Als lebendiges Symbol für Gemeinschaft, für das, was man zusammen bewirken kann", findet die 42-Jährige. Alles, was Sicherheit verspreche, werde in diesem Jahr "heiß herbeigesehnt".

Der Plan C

Und wenn alle Stricke reißen, haben die Pfadfinder einen Plan C. "Wir wissen, an welchen Orten in Deutschland noch das Licht vom letzten Jahr brennt", verrät Andrea Söhnholz. Selbst wenn wegen eines kompletten Lockdowns niemand mehr seinen Landkreis verlassen dürfe, "bringen wir das Licht in einer Stafette von Bundesland zu Bundesland - und stimmen das vorher natürlich mit den Ämtern und Frau Merkel ab", sagt Söhnholz mit einem kleinen Lächeln. Die bundesweite Vernetzung der Pfadfinderverbände und ihre Struktur in der Fläche machen solche Aktionen möglich.

Und wenn dann am Heiligabend bei vielen Menschen in ganz Deutschland, in Belgien und Bosnien, in Polen und Portugal, in Spanien und den USA das Friedenslicht von Bethlehem im Wohnzimmer brennt, haben die Pfadfinder ihr Ziel erreicht. "Dann können die Menschen eine große Verbundenheit spüren, weil dieses Licht durch so viele Hände zu ihnen gekommen ist", hofft Söhnholz.

Das diesjährige Motto "Frieden überwindet Grenzen", ursprünglich auf 30 Jahre Wiedervereinigung gemünzt, hätte das Licht dann auch im Corona-Jahr 2020 erfüllt.