Linus schlingt seine Arme um den Hals des Pferdes. Er vergräbt sein Gesicht im schneenassen Fell des großen, starken Tieres. Der 22-jährige junge Mann, der das Prader-Willi-Syndrom hat, würde bei Wind und Wetter zu seiner Stunde auf den Therapiehof Leila kommen. Seit zehn Jahren ist er dort Klient. "Das tut ihm so gut", sagt seine Mutter, Ulrike von Orden, noch nie sei er bei der Reitstunde verhaltensauffällig gewesen. Immer merke man, "dass das stabilisierend ist, dass er ruhiger wird".

Ruhe und Gelassenheit sind die herausragenden Eigenschaften der Pferde, die in der Reittherapie eingesetzt werden, erklärt Sandra Uhl, die den Therapiehof Leila in Altdorf bei Nürnberg leitet.

"Sie müssen ein Fels in der Brandung sein." Für die Einrichtung der Rummelsberger Diakonie ist sie ständig auf der Suche nach guten Pferden. "Sie brauchen eine gute Grundkonstitution, um Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen zu tragen", erklärt die Reittherapeutin.

Wenn Klienten, die im Rollstuhl sitzen, mit einem Lift auf das Pferd gehoben werden, muss das Tier wie festgenagelt stehen. Zwei Therapeuten und ein ehrenamtlicher Betreuer sind um es herum, wenn etwa Benno, der unter fortschreitender Muskeldystrophie leidet, eine Stunde hat. Auf dem Pferd erlebt Benno das, was Sandra Uhl einen "dreidimensionalen Impuls" nennt. Mit der Bewegung des Pferdes lernt der Junge, das Gleichgewicht zu halten. Rückenmuskulatur bildet sich aus und der Rumpf wird stabiler. Nach dem Reiten ist er "lockerer, stabiler und hat weniger Schmerzen", erklärt Uhl. Benno, der sonst nicht gehen kann, hat erlebt, dass es geht, sich ohne Rollstuhl fortzubewegen.

Den Rücken gerade zu halten, das Becken nach vorn zu drücken: Diese Haltung auf dem Pferd ist für Sara eigentlich Schwerstarbeit. Vor 23 Jahren ist sie mit einem frühkindlichen Autismus und motorischen Störungen auf die Welt gekommen. Als kleines Kind lag sie oft nur da und hatte keinen Blickkontakt mit anderen, erzählt ihre Mutter, Jadwiga Milewska-Rinderle. Die Tochter, die nicht spricht, aber schon mal die Hacken in den Boden stemmen kann, wenn ihr etwas nicht passt, freut sich jede Woche so sehr auf die Pferde. Mit nichts lässt sie sich von der Reitstunde abhalten.

Trotz allgemein anerkannter positiver Wirkung - die Kassen übernehmen die Hippotherapie-Stunden nur in seltenen Fällen. Auch Kindern und Jugendlichen mit psychosozialen Problemen oder Flüchtlingen mit Traumata, für die eine Therapiestunde auf dem Pferd stabilisierend wirken könnte, genehmigen die Jugendämter nicht oft eine solche Hilfe. So werden die Therapiestunden für eine Schülerin, die an diesem Winternachmittag aus der Jugendeinrichtung Löhe-Haus gekommen ist, aus Spenden finanziert. Für Linus hat zeitweise die Elly Heuss-Knapp-Stiftung die Therapie unterstützt. Die meisten Therapiestunden haben aber die Eltern seit Jahren aus eigener Tasche bezahlt. Ulrike von Orden und ihr Mann trösten sich, dass Linus sonst keine teuren Hobbys hat.

Finanzierung der Therapie

Pro Jahr schießen die Rummelsberger dem Therapiehof 110.000 Euro zu, um rund 1.000 Therapieeinheiten durchzuführen, informiert Vorstand Karl Schulz und ruft zu Spenden für den Fonds "Hürden überwinden" auf. Manchmal übernehmen Stifter die Therapie für ein Kind ganz, erklärt der frühere Vorstand der Rummelsberger Diakonie, Günter Breitenbach.

Der Pfarrer arbeitet im Ruhestand als Ehrenamtlicher auf dem Therapiehof. Ohne solche Freiwillige könnte der Therapiehof nicht sein. Dringend sucht Sandra Uhl aber derzeit nach einer Besetzung für die vakante Stelle des Freiwilligendienstes auf dem Hof. Denn ein FSJler wäre fünf Tage in der Woche zuverlässig für die Pferde da. Sie sind auf dem Therapiehof übrigens nicht im geschlossenen Stall, sondern bei jeder Jahreszeit im Freigehege.

Breitenbach hilft den Klienten des Therapiehofs beim Satteln, Striegeln und der Hufpflege der Tiere, führt das Pferd beim Ausritt ruhig am Geschirr. Sara hat den älteren Herrn ins Herz geschlossen und nennt ihn "Opa Günter". Wenn er ihre "Fatima" führt, geht auf jeder Seite des Tieres noch eine Begleiterin nebenher. Ein Sturz könnte für die junge Frau, deren Knochen leicht brechen, schlimme Folgen haben.

An diesem Spätnachmittag ist das Pferd ausnahmsweise unruhig: Ein Schneepflug biegt um die Ecke - ein ungewohnter Anblick für die Stute. Breitenbach und die Reittherapeutinnen kehren zum Hof zurück. Mutter Jadwiga nimmt Sara wieder in Empfang und stellt fest, eine solche Enttäuschung würde die junge Frau sonst nicht klaglos wegstecken. Sie ist dennoch ausgeglichener und schwungvoller, bemerkt die Mutter.

"Ich weiß nicht, was das mit meiner Tochter macht", freut und wundert sich die Mutter nach sechs Jahren Reittherapie immer noch. "Sie ist innerlich gewachsen".

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