Den Literaturkritiker Denis Scheck kennen die meisten wohl von seiner ARD-Sendung "Druckfrisch", wo er auf charmante Art und Weise Neuerscheinungen vorstellt, mit Autorinnen und Autoren spricht und die deutsche Spiegel-Bestsellerliste unter die Lupe nimmt.

Zum Welttag des Buches am Donnerstag, den 23. April 2020, sprach er mit Sonntagsblatt.de über das Lesen, die Corona-Krise und was diese aus den Menschen macht.

Herr Scheck, für wie wichtig halten Sie das Lesen in der aktuellen schwierigen Zeit?

Denis Scheck: Wir kommen ja nicht als Menschen zur Welt, sondern müssen uns erst dazu machen. Lesen ist dazu ein Königsweg. Nicht nur vermögen wir dadurch unsere Todesangst zu bannen und unser ständiges Kreisen um den eigenen Nabel zu unterbrechen: Lesen ermöglicht, uns in andere Erfahrungswelten zu begeben, unser Geschlecht, unsere Hautfarbe, unsere Nationalität, ja selbst unsere Gegenwart zu verlassen. Darin liegt eine fast schon magische Freiheit.

Worin liegt für Sie die größte Freude am Lesen eines Buches?

Scheck: Wenn eine literarische Erfahrung meine Wahrnehmung der Welt nachhaltig verändert – wenn mir etwas auffällt, wofür ich vor der Lektüre kein Auge oder kein Ohr hatte. Hölderlin und Jane Austen, Fontane und Kafka gelingt das spielend.  

Wie viele Bücher haben Sie bereits seit Beginn der Corona-Krise gelesen?

Scheck: Ich zähle nicht, aber ein paar mehr als sonst sind es schon. Besonders gefreut hat mich, dass ich endlich alle „Erdsee“-Romane von Ursula K. LeGuin am Stück lesen konnte.

Die Buchbranche leidet schwer unter der Corona-Krise. Sehen Sie aber darin auch eine Chance? Wie könnte diese aussehen?

Scheck: Die eigentliche Corona-Profiteure sind die Hunde – selten hatten die so viel Auslauf wie gerade. Wie alle großen Krisen bringt auch Corona eine Rückbesinnung auf das wirklich Wesentliche. Wenn für möglichst viele Menschen dazu Literatur gehört, ist Autorinnen und Autoren sowie der gesamten Buchbranche damit am meisten geholfen. Manches wird hoffentlich auch in Nach-Corona-Zeiten beibehalten werden: die größere Freundlichkeit und Rücksichtnahme der Menschen untereinander zum Beispiel. Oder dass der Massen-Irrsinn namens Profi-Fußball flachfällt und die Sportberichterstattung in den Medien auf dem Stand von 1968 festgeschrieben wird.

Zur Person: Denis Scheck wurde 1964 in Stuttgart geboren. Er lebt heute in Köln. Bereits im Alter von 13 Jahren gründete er eine eigene literarische Agentur. Als literarischer Übersetzer und Herausgeber engagierte er sich für Autoren wie Michael Chabon, William Gaddis und David Foster Wallace, Antje Strubel und Judith Schalansky. Lange arbeitete er als Literaturkritiker im Radio, heute ist er Moderator der Fernsehsendungen „Lesenswert“ im SWR und „Druckfrisch“ in der ARD. Für den Münchner Piper Verlag hat er drei Bücher geschrieben.