Trotz der Corona-Krise müssen die Menschen in Bayern beim Osterspaziergang nicht auf eine Pause oder ein kurzes Sonnenbad auf einer Parkbank verzichten - natürlich sofern die Abstandsregeln beachtet werden.

Für alle, die jetzt das gute Wetter ausnutzen wollen und vielleicht schon ein einsames Plätzchen zum Lesen im Auge haben, oder einfach zuhause in Ruhe ein bisschen Zeit verbringen, gibt es eine gute Nachricht: Wir von der Sonntagsblatt-Redaktion haben sieben Empfehlungen für Sie zusammengestellt zu Büchern, die Sie über die Osterfeiertage lesen oder verschenken können.

Alle aufgeführten Buchtipps sind in Ihrer Buchhandlung vor Ort erhältlich, oder können bei der Claudius Versandbuchhandlung bestellt werden, die Sie unter der Telefonnummer 089/12172-119, sowie per E-Mail (vertrieb-claudius@epv.de) erreichen. 

"Lob des Fatalismus"

von Matthias Drobinski, Claudius Verlag, München 2018, 132 Seiten, 14 Euro

Sobald es wieder irgendwie geht, wird das halbe Land nach dem Glück jagen. In Yoga-Kursen und Selbsterfahrungsgruppen, in der Wildnis oder in Wellnesshotels. Ewig Suchende ändern ihre Schlaf- und Essgewohnheiten, quälen sich durch neue Sportarten, suchen neue Jobs, weil sie die alten nicht mehr erfüllen, neue Bett- und Lebenspartner – immer in der Sorge, dass es nicht reichen könnte zum Glück.

Matthias Drobinski, bei der Süddeutschen Zeitung für Religionen und Kirchen zuständig, hat den Markt der Glücksanbieter sondiert, von seriöser Lebensberatung bis Scharlatanerie, von der Optimismus-Industrie bis zur Motivationsbranche.

"Letztlich ist es eine totalitäre Ideologie, weil sie den ganzen Menschen will – sein Inneres und Äußeres, sein Sozialleben und seine innere Einstellung", schreibt er. "Wer sich nicht optimieren will, wer zweifelt, wird zum negativen Element und zum Feind. Wer sich nicht optimieren kann, weil da eine Krankheit ist oder sonst eine Schwäche, weil gar Kinder zu versorgen oder Eltern zu pflegen sind, der bleibt eingeschränkt verwendbar."

Drobinski warnt vor einer "Gesellschaft voller Ichlinge, effizient, funktionsfähig, leistungsstark". Er bricht eine Lanze für den Fatalismus als Gegenprogramm. Zum Menschsein, sagt er, gehört das Unvollständige, Eigentümliche und das Abgründige. Und er erinnert an die christliche Vorstellung von Barmherzigkeit und Gnade.

Dabei gelingt ihm eine Neuformulierung der lutherischen Rechtfertigungslehre: Gottes Barmherzigkeit als Inkonsequenz um der Menschen willen, aus souveräner Liebe, aus Mitleiden mit seiner Unvollständigkeit. Gnade ist, was dem Menschen zuteilwird, egal, was er zu leisten imstande ist. Drobinski sieht im Fatalismus "die Gegenmacht gegen alle, die die Welt im Griff haben wollen". Es ist Zeit, ihn neu zu entdecken – als Tugend, als Haltung und als Möglichkeit, das Leben zu meistern.

 
Matthias Drobinski: "Lob des Fatalismus"
Claudius Verlag, München 2018, 132 Seiten, 14 Euro

"Gerechtigkeit über Grenzen: Pflichten in der globalisierten Welt"

von Onora O’Neill, Claudius Verlag, München 2019, 368 Seiten, 38 Euro

Die Kernfragen, mit denen sich die britische Philosophin und Politikerin Onora O’Neill in ihrem Sachbuch "Gerechtigkeit über Grenzen. Pflichten in der globalisierten Welt" auseinandersetzt, bestechen durch ihre Aktualität. Und obgleich sich O’Neill schon früh mit ethischen Grundbegriffen wie Gerechtigkeit, Grenzziehungen, der Pflicht zu handeln und auch medizinethischen Fragestellungen beschäftigt hat, so trifft diese Neuerscheinung im Claudius Verlag gerade heute in besonderem Maße den Puls der Zeit, die aktuell geprägt ist von einer durch Corona-Pandemie und Flüchtlingsfragen ausgelösten globalen Unsicherheit.

Umso erfreulicher ist es für den Leser, dass die Autorin in jedem der 14 Essays, die sich in vier thematischen Abschnitten mit Hunger, Rechtfertigungen, Handeln und Gesundheit beschäftigen, auf eine praxisorientierte Schlussfolgerung hinführt. Dabei arbeitet O’Neill mit Gedanken schärfenden Wiederholungen und leitet den Leser mit nahezu regieähnlichen Erläuterungen durch ethisch-relevante Fragen unserer Zeit.

Die Themen sind wahrlich keine Lektüre, die ein rasches Durchlesen erlauben, aber umso mehr Gewinn und Lesegenuss zieht der ethisch interessierte Leser, der O’Neills konkrete Handlungsoptionen und die politische Dimension und Klarheit ihrer Aussagen schätzt.

Die 1941 in Nordirland geborene Onara O’Neill war nach Lehrtätigkeiten in Harvard und an der Columbia University lange Jahre Professorin für Philosophie in Cambridge. Neben zahlreichen Auszeichnungen erhielt O’Neill am 1. Februar 2006 die Ehrendoktorwürde der Ludwig-Maximilians-Universität München.
 
Onora O’Neill: "Gerechtigkeit über Grenzen: Pflichten in der globalisierten Welt"
Claudius Verlag, München 2019, 368 Seiten, 38 Euro

"St. Pauli – Meine Freiheit"

von Sieghard Wilm, Claudius Verlag, München 2020, 224 Seiten, 20 Euro

Gegensätze ziehen sich nicht nur an, sondern bewirken auch eine aufschlussreiche und spannende Lektüre. Denn in seiner Biografie "St. Pauli – Meine Freiheit" beschreibt der Theologe Sieghard Wilm die Kirche in einem Umfeld, das auf den ersten Blick so gar nicht zu ihr passt: Mitten im Hamburger Vergnügungsviertel St. Pauli, zwischen Straßenstrich und Obdachlosen, Junkies und Dealern, feierfreudigen Touristen und gestrandeten Seeleuten, steht die Kirche von Pastor Wilm.

In seinem Buch zeichnet er ungeschminkt, mit großer Anteilnahme, aber auch der nötigen ironischen Distanz den mühsamen Weg nach, bis die Kirche St. Pauli im Getriebe der Amüsiermeile zu einem "Ort der Beständigkeit und der Treue" werden konnte. Dabei liegen dem Pastor zuvorderst die häufig entwurzelten Menschen am Herzen, denen er durch den neu angelegten Pfarrgarten und das immer offene Kirchenschiff ein Refugium schafft: "Ich habe mich immer denen nahe gefühlt, die wissen, dass sie Gott nötig haben."

Die Kirche in St. Pauli ist aber nicht nur ein geistlicher Ort, sondern auch ein Schauplatz der Zeitgeschichte: Mehrere Monate lang wohnen 80 "Lampedusa-Flüchtlinge" in der Backsteinkirche, während des G20-Gipfels in Hamburg versammeln sich unter dem Motto "Alle an einem Tisch" Gemeindemitglieder, Passanten und aus ganz Deutschland angereiste Demonstranten zu gemeinsamen Mahlzeiten.

In diese beiden Erzählstränge ist der persönliche Lebensweg des Pastors verwoben, der alles andere als gradlinig verlief. Sieghard Wilm erzählt diese Kapitel seiner Biografie und der Zeitgeschichte flüssig, anschaulich und dadurch gut lesbar, aber auch mit der nötigen Tiefe. Denn er sieht sich nicht als "Clown" des Zeitgeists, sondern als empathischer "Himmelskomiker" für die Menschen.
 
Sieghard Wilm: "Gerechtigkeit über Grenzen: Pflichten in der globalisierten Welt"
Claudius Verlag, München 2020, 224 Seiten, 20 Euro

"Phrase Unser – Die blutleere Sprach der Kirche"

von Jan Feddersen und Philipp Gessler, Claudius Verlag, München 2020, 184 Seiten, 20 Euro

"Ich lege mal meins daneben" und "Das nehme ich jetzt einmal mit": Zwei treffende Beispiele aus der gegenwärtigen Kirchensprache. Zwei Beispiele, an den die beiden Autoren Jan Feddersen und Philipp Gessler zeigen, wie die kirchliche Sprache so wohlklingt und doch die Wirklichkeit verschleiert. Zwei Beispiele, die Feddersen, Redakteur bei der taz, und Gessler, Redakteur bei der Zeitschrift zeitzeichen, genüsslich entlarven. "'Ich lege mal meins daneben' – das bedeutet eigentlich: Deine Position ist total unterirdisch". Auch die Formel: "'Das nehme ich jetzt einmal mit' ist ja eine, die eher ausdrückt, dass man das Gesagte nach einer Minute schon wieder vergessen hat."

"Phrase unser – Die blutleere Sprache der Kirche" analysiert kenntnisreich, fundiert und sprachlich treffend formuliert die Sprech- und Sprachwirklichkeit der Kirche, die oft so formelhaft, so unverständlich und so binnenkirchlich daherkommt. Kein Wunder, so die beiden Autoren, dass die Kirchensprache die Menschen nicht mehr erreicht.

Mein Tipp: Lassen Sie sich berühren von dem Buch, den vielen Gedanken und Anstößen. Und schlagen Sie am Ende im Glossar "Das Wörterbuch vom guten Leben" die Formeln, Redewendungen und Belanglosigkeiten der kirchlichen Sprache nach, warum das "Berühren" ebenfalls zur blutleeren Sprache der Kirche gehört. Dieses Buch sollte Pflichtlektüre werden für alle, denen eine verständliche und ansprechende Sprache der Kirche am Herzen liegt. Denn, so Feddersen und Gessler: "Nur wenn die Kirche ihre Sprechweise erneuert, kann sie sich selbst erneuern."

 
Jan Feddersen, Philipp Gessler: "Phrase Unser – Die blutleere Sprach der Kirche"
Claudius Verlag, München 2020, 184 Seiten, 20 Euro

"Das verleugnete Kreuz – Anstöße für eine überfällige Debatte"

von Uwe Wolf, Claudius Verlag, München 2019, 160 Seiten, 18 Euro

Kein anderes Symbol ist dem Menschen so auf den Leib geschrieben wie das Kreuz. Das Kreuz ist in jedem Menschen verborgen. Das spüren wir in diesen Tagen auch durch die große Pandemie. Niemand kann ihr entfliehen.

Im Kreuz vereinigen sich zwei Bewegungsrichtungen – die Horizontale und die Vertikale. Wenn wir die Arme ausbreiten und aufrecht stehen, wenn wir tief einatmen und den Atem wieder verströmen, spüren wir in uns seine Gegenwart. Dann wird auch durch unsere Leibgestalt das Kreuz sichtbar. Wir sind  zwischen Himmel und Erde ausgespannt.  Wir sind Kinder der Erde und des Himmels. Himmel und Erde kreuzen sich in uns.  Der aufrechte Gang und die ausgebreiteten Arme legen davon Zeugnis ab. 

Golgatha ist ein mythischer Ort. Der Legende nach wurde Adam auf dem Hügel Golgatha beigesetzt. Sein Grab lag genau an der Stelle, wo Jesus einst gekreuzigt werden sollte. Adam und Christus wurden aufeinander bezogen wie Sünde und Sühne, wie Schuld und Vergebung. Deshalb findet man auf vielen Kreuzigungsdarstellungen des Mittelalters unter dem Kreuz Jesu einen Totenkopf. Er symbolisiert den ersten Adam, durch dessen Fehltritt die Sünde in die Welt kam. Durch den Opfertod des zweiten Adam, so verkündet Paulus, werde die Sünde des ersten Adam gesühnt. Christus war der letzte Sündenbock und das letzte Opferlamm, das durch sein Leiden die Schuld sühnte.

 

Uwe Wolf: "Das verleugnete Kreuz – Anstöße für eine überfällige Debatte"

Claudius Verlag, München 2019, 160 Seiten, 18 Euro

"Am Sonntag geht Gott angeln: Die Weisheit des keltischen Christentums"

von Dirk Grosser, Claudius Verlag, München 2019, 208 Seiten, 18 Euro

Ausgehend von seinen Erfahrungen mit einem mehr als unkonventionellen irischen Priester stellt Dirk Grosser das keltische Christentum als einen Weg vor, die Verbindung zum Wunder der Schöpfung zu stärken und den eigenen Glauben zu einer spürbaren Wirklichkeit werden zu lassen.

In den inspirierenden Begegnungen mit seinem Gegenüber wird hier ein tief empfundenes und lebendiges Christentum erlebbar, welches ein authentisches Verhältnis zum Heiligen pflegt, das das grundsätzliche Gutsein der Welt in den Vordergrund rückt und uns alle zur Feier an der großen Tafel Gottes einlädt.

Ein wundervolles Buch, das humorvoll und zugleich tiefgründig eine uralte und fast vergessene Tradition vorstellt, die uns heute noch viel zu sagen hat. Dazu gibt es noch ein kurzes Video von Dirk Grosser persönlich, in dem er über Gelassenheit und Gott spricht.

 

Dirk Grosser: "Am Sonntag geht Gott angeln: Die Weisheit des keltischen Christentums"

Claudius Verlag, München 2019, 208 Seiten, 18 Euro

"Was die Bibel uns zu sagen hat"

von Richard Rohr, Claudius Verlag, München 2020, 96 Seiten, 12 Euro

Richard Rohr, 1943 in Kansas geboren, ist einer der bedeutendsten christlichen Mystiker und spirituellen Lehrer unserer Zeit. In "Was die Bibel uns zu sagen hat" legt der Franziskanerpater Rechenschaft ab über den eigenen Zugang zur Bibel, über seine "Hermeneutik". Ein lesenswerter und erhellender, ein inspirierter und inspirierender Text – wie alle Bücher Rohrs. Zu seinen Gaben gehört, komplex zu denken und verständlich zu sprechen. (Die ungekürzte Fassung dieser Rezension finden Sie hier.)

Unter Hermeneutik versteht man das Muster, die Methode, die jemand benutzt, um Texte zu erschließen und auszulegen, insbesondere religiöse Texte. Das Wort leitet sich vom griechischen Verb hermeneúein ("erklären, übersetzen, verstehen") ab.

"Nur der Liebe kann man die Wahrheit anvertrauen", bringt Rohr es auf den Punkt. Denn es ist so eine Sache mit den heiligen Texten von Juden und Christen: "Wenn man sie Ich-süchtigen, lieblosen oder machtbesessenen Zeitgenossen ausliefert oder Leuten, die niemals wirklich gelernt haben, mit spirituell inspirierter Literatur sachgerecht umzugehen, endet das fast immer in einem Desaster", sagt er und verweist auf Ketzerverbrennungen, Kreuzzüge, Sklaverei, Apartheid und weitere Abgründigkeiten, die man meinte, mit ausgewählten Passagen aus der Bibel begründen zu müssen.

Was also leitet uns, wenn wir die Bibel zur Hand nehmen? Rohr identifiziert eine "linke" und eine "rechte" Versuchung im Umgang mit der Bibel. Sie liegen in der einseitigen Hingabe an Wille oder Intellekt. Beides führt zu einem toten Glauben. "Im Allgemeinen machen Leute, die sich konservativ nennen, den Glauben zu einer Sache der Anpassung und Unterwerfung; und die, die sich progressiv nennen, machen den Glauben zu einer bloßen Angelegenheit ihrer subjektiven Vernunft."

Rohr folgt daher der Spur, wie es Jesus mit seiner eigenen Hermeneutik gehalten hat. Und stellt fest:

  • dass Jesus weit über jedes "Sola Scriptura" (das reformatorische "Allein die Schrift!" Luthers) hinausgegangen ist
  • dass er häufiger aus der eigenen Erfahrung redet, als sich auf frühere Quellen zu stützen
  • dass Jesus nichts geschrieben hat, was ihn überdauert hätte, er also die Gefahr und die Gesetzlichkeit von Leuten gekannt hat, die sich "nach dem Buch" richten
  • dass er ständig heilige Tabus aufs Korn nimmt und
  • dass Jesus "derart grob vereinfachend und naiv ist, dass er die 613 eindeutigen Ge- und Verbote der Bibel gerade einmal auf zwei reduziert: Gottesliebe und Nächstenliebe (siehe Matthäus 22, 34-40)".

 

Richard Rohr: "Was die Bibel uns zu sagen hat"

Claudius Verlag, München 2020, 96 Seiten, 12 Euro