Update, Donnerstag, 14. April 2022: Insgesamt 2,91 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer haben laut RTL am Mittwochabend "Die Passion" im Fernsehen verfolgt – die Show sei damit nach der "Tagesschau" die meistgesehene Sendung des Tages gewesen, teilte RTL am Donnerstag mit. Das Event sei auch in der Karwoche 2023 geplant. Wer "Die Passion" nachträglich anschauen möchte: Unter diesem Link ist die Sendung sieben Tage lang kostenlos abrufbar.

Ein Lichtspektakel wie für das Rockkonzert eines Superstars, die ganz große Bühne, umrahmt von kreischenden Fans – so wirbt der TV-Sender RTL in einem Trailer für das Live-Showevent "Die Passion", zu sehen am Mittwoch (13. April, 20.15 Uhr) im Fernsehen und als Livestream.

"Nun wird Jesus Christus erneut zum Leben erweckt: Dieses Mal wacht er jedoch in der heutigen Zeit auf – begleitet von richtigen Popkrachern", so beschreibt der Sender diese moderne Version der "größten Geschichte aller Zeiten".

Dieser werbende Superlativ kommt etwas ranschmeißerisch daher, wobei es aus christlicher Sicht natürlich stimmt, schließlich handelt es sich bei Ostern um das für Christ*innen wichtigste Fest des Jahres.

"Die Passion" – das Show-Konzept

Die Passionsspiele werden am Mittwochabend in der Essener Innenstadt inszeniert und live übertragen. Auf einer großen Bühne auf dem Burgplatz neben dem Dom erzählt Moderator Thomas Gottschalk die Ostergeschichte. "Die Passion" versetzt die letzten Tage im Leben Jesu in die Gegenwart und erzählt die Leidensgeschichte auch mithilfe von kurzen Einspielern, die in Essen gedreht wurden. Wie in einem Krimi rasen da in der Dunkelheit blinkende Polizeifahrzeuge heran, Polizisten führen Jesus (im beigen Dufflecoat) unter einer Autobrücke ab.

Die Rolle des Jesus und die anderer Protagonist*innen übernehmen Sängerinnen und Sänger, von denen einige durch Formate wie "Deutschland sucht den Superstar", "Prince Charming" oder "Let‘s Dance" bekannt geworden sind. Sie greifen die Ostergeschichte in Popsongs auf.

In einer 3,5 Kilometer langen Prozession wird außerdem ein riesiges leuchtendes Kreuz vom Essener Stadtteil Rüttenscheid auf den Burgplatz getragen.

Die Passion als prägende Geschichte

Die Passionsgeschichte sei eine Erzählung, die "wie keine andere unsere Geschichte, unsere Kultur und unser Denken geprägt hat und nicht zuletzt den Glauben von Milliarden Menschen", so RTL. Gerade heute, da "die Gräben zwischen den Menschen und den Ideologien immer größer werden, in der die Herausforderungen der Gegenwart und die Fragen der Zukunft Angst machen" wolle der Sender die ursprünglichen Botschaften der Passion in den Fokus rücken: Liebe, Toleranz, Gemeinschaft und Hoffnung.

Das sagen die Kirchen

Der als "Fernsehereignis" angepriesenen Show mit christlichem Inhalt können Vertreter*innen der katholischen und der evangelischen Kirche einiges abgewinnen: Dies sei ein "bedeutsamer Versuch, die Passionsgeschichte unter den Bedingungen einer spätmodernen Popularkultur neu zu präsentieren“, sagte der EKD-Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen der Nachrichtenagentur EPD.

Die Geschichte von Leiden, Sterben und Auferstehung Christi sei nicht Eigentum der Kirche. Claussen: "Wir erleben, dass wir als Kirchen nicht mehr unhinterfragt die Interpretations- und Deutungshoheit haben, und das müssen wir auch gar nicht."

Sie selbst habe für Andachten und Predigten zum Karfreitag bereits Song-Ausschnitte verwendet, sagte Marion Greve, Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Essen, dem EPD:

"Die Passionsgeschichte Jesu bringt in den Menschen tiefe und ernste Gefühle zum Klingen. Warum sollte es nicht möglich sein, diese Emotionen und die Botschaft, die ihnen zugrunde liegt, in modernen Popsongs angemessen auszudrücken?"

Ihr katholischer Kollege, Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck sagt: "Die Veranstaltung verstehe ich auch als Angebot, sich mit der Leidensgeschichte Jesu auseinanderzusetzen. Jeder Mensch kann für sich selbst entscheiden, ob dieses TV-Event der richtige Rahmen dafür ist."

Thomas Gottschalk, Alexander Klaws, Gil Ofarim

Diese ungewöhnlichen Passionsspiele setzen auf bekannte Namen aus dem Showbusiness: Entertainer Thomas Gottschalk erzählt die Geschichte von Jesus, der von dem Schauspieler und Musicalstar
Alexander Klaws verkörpert wird. Der 28-Jährige hatte als Sänger seinen Durchbruch als erster Gewinner von "Deutschland sucht den Superstar" und hat bereits Erfahrung als Jesus: Im Musical "Jesus Christ Superstar" war er  in der Titelrolle zu sehen und zu hören.

Thomas Gottschalk (l.) erzählt die Ostergeschichte, Alexander Klaws (r.) ist in "Die Passion" als Jesus zu sehen

Außerdem dabei: Sängerin Ella Endlich als Maria, Schauspieler und Sänger Mark Keller übernimmt die Rolle des Judas, Sänger und Musikproduzent Laith Al-Deen die des Petrus, Schauspieler Henning Baum ist als Pontius Pilatus zu sehen und Martin Semmelrogge als Verbrecher Barabbas.

Gil Ofarim spielt einen der Jünger. Daran habe sich trotz der inzwischen gegen den Sänger durch die Staatsanwaltschaft Leipzig erhobenen Anklage wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung nichts geändert, teilte RTL mit: "Bis zu einer Verurteilung gilt für Gil Ofarim die Unschuldsvermutung." Ofarim hatte behauptet, ein Hotel-Mitarbeiter habe ihn antisemitisch beleidigt.

"Eine Geschichte, in der Unmögliches möglich gemacht wird"

Die Rollen der anderen Jünger übernehmen Samuel Koch, Sarah Koch, Stefan Mross, Anna-Carina Woitschack, Sila Sahin, Thomas Enns, Mareile Höppner, Nicolas Puschmann und Prince Damien.

Was ihnen die Ostergeschichte ganz persönlich bedeutet, das verraten einige der Schauspieler*innen auf einer Webseite zur Veranstaltung. "Für mich ist es eine Geschichte, in der Unmögliches möglich gemacht wird", sagt etwa Samuel Koch. "Selbst Dinge, die auch Gott unmöglich scheinen, nämlich Gnade und Gerechtigkeit miteinander zu verbinden – das wird in diesen Stunden der Passion möglich. Da kommt jemand und nimmt stellvertretend die Schuld auf sich. Damit kann Gnade und Gerechtigkeit gleichsam gewährt werden, ganz persönlich, aber eben auch gesellschaftlich."

Gottschalk und die Hedwigskirche in Kulmbach

Für den ursprünglich aus dem fränkischen Kulmbach stammenden Thomas Gottschalk sind dies nicht die ersten Passionsspiele: "Ich habe schon als jugendlicher Vorbeter "Die Passion" in der Kulmbacher Hedwigskirche vorgetragen", sagte der 71-Jährige kürzlich. Er freue sich, dass RTL "mit dieser Erlösungsgeschichte, die mehr ist als eine fromme Legende" ins "Quotenrisiko" gehe. Gottschalk: "Ich war selten so gut auf einen TV Auftritt vorbereitet."

Populartitätsschub für die Ostergeschichte

Das Konzept von "Die Passion" stammt aus den Niederlanden. Dort läuft die Show seit elf Jahren immer in der Karwoche im Fernsehen – mit großem Erfolg: Die Einschaltquoten liegen der Produktionsfirma Mediawater NL zufolge stabil zwischen 40 und 45 Prozent.

Aus kirchlicher Perspektive interessanter noch ist diese Statistik: Bevor "The Passion" zu einem Oster-Ritual im niederländischen Fernsehen wurde, habe ausweislich einer Umfrage kaum ein Drittel der Bevölkerung die Ostergeschichte gekannt, sagt der Erfinder des Formats, Produzent und Regisseur Jacco Doornbos. Nachdem "The Passion" ein paar Jahre im Fernsehen zu sehen war, habe sich diese Zahl fast verdoppelt.

Kann die Show das Interesse für Glaubensthemen wecken?

Ob die deutsche Show "Die Passion" ein nachhaltiges Interesse für Glaubensthemen bei kirchenfernen Menschen wecken könne, werde sich zeigen, sagte der katholische Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck im Interview mit dem EPD. Sicher sei aber: "Event-Inszenierungen bringen sicher die Möglichkeit mit, Glaubensthemen noch einmal anders zu transportieren."

Seine evangelische Kollegin, Superintendentin Marion Greve sieht die  Show "auf jeden Fall" als Chance, kirchenferne Menschen zu erreichen. Es sei schon immer, seit der Entstehung des Christentums, darum gegangen, die Bibel so zu übersetzen, dass sie die Menschen in ihrer jeweiligen Epoche erreiche, auch durch Nutzung moderner Medien.

"Gerade in unserer säkularisierten Welt kommt es doch darauf an, mutig neue Wege auszuprobieren; ein Anbiedern an den Zeitgeist kann ich hier nicht erkennen. Mir ist vor allem wichtig, dass die kraftvolle Botschaft der Passionsgeschichte spürbar wird, die uns auch heute unmittelbar und direkt berührt: Die Frage nach dem Umgang mit Schuld und Schmerz, die Überwindung von Gewalt, Leid und Tod durch die Liebe, die Hoffnung auf Heilung, die Sehnsucht nach Erlösung"

so Greve im epd-Interview.

Material für Gemeinden und Hauskreise

Auch wenn die Kirchen nicht als Mitveranstalter auftreten, sie unterstützen die Passions-Show im Fernsehen. So schlägt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Gemeinden und Hauskreisen vor, sich das TV-Event gemeinsam anzuschauen.

Materialien dazu haben die Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste im Diakonischen Werk der EKD, das Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken und die Deutsche Bibelgesellschaft zusammen mit anderen Partnern entwickelt: Auf der Webseite "Die Passion erleben" gibt es  Hintergrundinformationen zur Bedeutung von Passion und Ostern, den Link zur Passionsgeschichte in der Bibel, aber auch Texte wie: "Ideen, um Erfahrungen mit dem Glauben zu machen."

Die Kirchen sollten sich "als kompetente Gesprächspartner ins Spiel bringen" und nicht als Trittbrettfahrer fühlen, rät EKD-Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen:

"Auf einen guten Zug kann man gerne aufspringen."