Der Münchener Erzbischof und Kardinal Reinhard Marx will auf sein Bischofsamt verzichten und damit Konsequenzen aus dem Umgang seiner Kirche mit Missbrauchsfällen ziehen. Er wolle Mitverantwortung übernehmen "für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten", heißt es in einem am Freitag veröffentlichten Brief von Marx an Papst Franziskus, in dem er seinen Amtsverzicht anbietet. Er wolle Verantwortung tragen, "nicht nur für eigene mögliche Fehler, sondern für die Institution Kirche". Marx erntete Respekt und Bedauern. Politiker erklärten, wichtiger als Rücktritte seien Fortschritte bei der Aufarbeitung von Missbrauch.
Die Diskussionen der letzten Zeit hätten gezeigt, "dass manche in der Kirche gerade dieses Element der Mitverantwortung und damit auch Mitschuld der Institution nicht wahrhaben wollen und deshalb jedem Reform- und Erneuerungsdialog im Zusammenhang mit der Missbrauchskrise ablehnend gegenüberstehen", erklärte Marx weiter. Die katholische Kirche sei an einem "toten Punkt" angekommen, ergänzte der 67-Jährige, der betonte, dass die Entscheidung nichts mit Amtsmüdigkeit zu tun habe.
Kardinal Reinhard Marx - Mitverantwortung
Marx steht seit 2008 an der Spitze des Erzbistums München und Freising. Von 2014 bis 2020 war er Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und sorgte in dieser Funktion für das Zustandekommen des Reformprozesses "Synodaler Weg", bei dem die Bischöfe mit der Laienbewegung Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) unter anderem über mehr Beteiligung von Frauen und das Aufbrechen kirchlicher Machtstrukturen verhandeln.
ZdK-Präsident Thomas Sternberg reagierte in der "Rheinischen Post" mit Bedauern auf Marx' beabsichtigten Rückzug: "Da geht der Falsche", sagte er. Es fehle dann "eine ganz wichtige Persönlichkeit im deutschen Katholizismus". Auch der bayerische Landesbischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, erklärte, es würde die "starke Stimme" von Bischof Marx in seinem jetzigen Amt fehlen. Das Rücktrittsangebot zeige die beispielgebende Gradlinigkeit und Konsequenz, mit der Marx die Erneuerung seiner Kirche betreibt, sagte Bedford-Strohm dem epd.
Marx erklärte, er habe in den vergangenen Monaten immer wieder über einen Amtsverzicht nachgedacht. Gereift sei der Entschluss an den Ostertagen. Sein Brief an Papst Franziskus ist auf den 21. Mai datiert. Marx veröffentlichte das gut zweiseitige Schreiben am Freitag zusammen mit einer persönlichen Erklärung und nach eigenen Worten in Abstimmung mit dem Papst. Eine Entscheidung des Papstes über das Rücktrittsgesuch gibt es aber noch nicht. Solange bleibt Marx nach eigenen Worten als Bischof im Amt.
"Kardinal Marx will mit seinem Schritt ein Zeichen setzen und institutionelle Verantwortung persönlich übernehmen, die die Kirche im Zusammenhang mit den Fällen sexuellen Missbrauchs und ihre Vertuschung zu tragen hat", erklärte der aktuelle Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing. Unabhängig davon müssten Bischofskonferenz und Bistümer weiterhin ihrer Verantwortung zur Aufarbeitung nachkommen, betonte er.
Reaktionen von Experten
Der Kirchenexperte Thomas Schüller wertete das Rücktrittsangebot auch als Kritik an der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln. "Er greift Kardinal Rainer Maria Woelki frontal an, wenn er von denen spricht, die sich hinter juristischen Gutachten verstecken und nicht bereit sind, die systemischen Ursachen der sexualisierten Gewalt in der Kirche mit mutigen Reformen anzugehen", sagte Schüller, der an der Westfälischen Wilhelms-Universität lehrt.
Bundestagsabgeordnete drangen derweil auf Fortschritte beim Umgang mit Missbrauchsfällen in den Kirchen. Rücktritte würden die offensichtlichen Probleme bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt nicht lösen, erklärte der FDP-Politiker Benjamin Strasser. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci äußerte sich ähnlich: Der Schritt sei respektabel, "allerdings auch sicher keine Lösung".
Castellucci ist nach eigenen Worten mit Vertretern anderer Fraktionen, Betroffenen und Kirchen im Gespräch darüber, wie die Aufarbeitung in der nächsten Wahlperiode vom Parlament begleitet werden kann. Marx selbst räumte in seinem Brief an den Papst Versäumnisse beim Umgang mit Betroffenen ein: "Das Übersehen und Missachten der Opfer ist sicher unsere größte Schuld in der Vergangenheit gewesen."