Frau Kasch, als Sie damals Bayerns erste evangelische Dekanin waren – haben Sie sich da als Pionierin gefühlt?
Susanne Kasch: Nein, dieses Gefühl hatte ich eigentlich nicht. Aber es war natürlich schon ungewöhnlich, dass es im Kreis der Dekane auf einmal eine Frau gab. Die Einladungen zur Dekanekonferenz am Hesselberg begannen mit der Anrede: »Sehr geehrte Frau Kasch, liebe Brüder ...« Inklusion sieht anders aus. Auf der anderen Seite war mir auch klar, dass ich unter all den Männern eine Sonderrolle haben würde.
Hat diese Rolle ihr Berufsleben geprägt?
Kasch: Ich war auf jeden Fall stolz darauf, dieses Amt zu bekommen. Ich war ja nicht nur die erste Dekanin, sondern mit 35 Jahren auch die jüngste. Das kitzelt natürlich schon das Ego – und es macht einen auch selbstbewusst.
Wie sehen Sie heute die Rolle der Frauen in der evangelischen Kirche?
Kasch: Ich glaube, dass es mittlerweile selbstverständlich ist, dass Frauen Leitungsämter in der Kirche übernehmen können. Da müssen wir keinem mehr etwas beweisen. Ich stelle allerdings fest, dass generell weniger Menschen nach solchen Leitungsämtern streben.
Woran liegt das?
Kasch: Ich denke, an der Menge der Verantwortung und der Termine. Das nimmt zu. Da macht man sich verstärkt Gedanken darüber, wie ein solcher Job mit Ehe, Familie oder auch Hobbys zu vereinbaren ist. Das betrifft Männer wie Frauen gleichermaßen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass Frauen deshalb noch zurückhaltender sind als Männer. Auf die Nachfolge für meine Stelle etwa gab es nur Bewerbungen von Männern.
Wie war das, als 2002 erstmals eine Frau als Dekanin in der katholischen Bischofsstadt Augsburg anfing?
Kasch: Ich glaube, dass mir das sogar einiges erleichtert hat. Dadurch wurde schon optisch sichtbar: Das sind zwei verschiedene Kirchen. Die katholische Kirche tut sich mit einer Frau in einem evangelischen Amt ja nicht schwerer als mit einem Mann. Für sie gilt eher die Frage, ob ein evangelisches Amt überhaupt ein Amt ist. Wir sind da eben nach offizieller katholischer Lehrmeinung nicht auf Augenhöhe. Trotzdem hat sich mit meinem katholischen Dekanskollegen Helmut Haug in Augsburg eine wunderbare Ökumene entwickelt.
Wie äußert sich das?
Kasch: Wir leben und praktizieren Ökumene in Augsburgs Stadtmitte ganz unkompliziert. Gottesdienste bereiten wir in sehr enger Zusammenarbeit gemeinsam vor. Wir können auch mühelos miteinander eine Predigt halten. Das schaffe ich längst nicht mit allen evangelischen Kollegen. Im Moment kann ich mir daher keine bessere Ökumene vorstellen.
Gilt das auch für andere Religionen?
Kasch: So weit würde ich nicht gehen. Aber es gibt in Augsburg ja den Runden Tisch der Religionen. Den haben wir – Katholiken und Protestanten –, bald nachdem ich hier ankam, ins Leben gerufen. Ich finde, eine Stadt wie Augsburg braucht eine solche Einrichtung unbedingt, weil es hier so viele Religionsgemeinschaften gibt. Wir müssen einen Ort haben, wo die Themen, die alle betreffen, angesprochen werden können.
Funktioniert das auch?
Kasch: Ich denke, ja. Allein dass es diese Treffen gibt und wir miteinander reden, ist schon wichtig. Wir leben in einer Welt, wo aus Religionsgründen Kriege geführt und Bomben geworfen werden. Da ist ein solcher Dialog ein Zeichen. Und wir machen auch vieles miteinander. Das multireligiöse Friedensgebet am Vorabend des Friedensfests etwa wird in der Stadt durchaus wahrgenommen.
Wie wichtig ist das Friedensfest für das Zusammenleben der Religionen?
Kasch: Ich denke, das Friedensfest ist ganz allgemein mit Blick auf das Zusammenleben der Stadtgesellschaft ein wichtiger Faktor geworden. Als ich in Augsburg ankam, war es ein rein protestantisches Fest. Heute ist es ein Feiertag der Stadtgesellschaft. Die Menschen wissen, dass es einen evangelischen Ursprung hat. Aber ein Feiertag für den Frieden hat nur Sinn, wenn alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt mitfeiern können. Das Fest wäre kein Friedensfest, wenn es nur exklusiv für die Protestanten da wäre.
Wie sehen Sie die Situation der Protestanten in Augsburg?
Kasch: Nun, es ist offensichtlich, dass wir weniger werden. Als ich 2002 hier ankam, gab es im Dekanat rund 100.000 Evangelische. Heute sind es nur noch 90.000 – und das, obwohl die Stadt wächst. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch, wie das Engagement in den Gemeinden nicht schwächer wird. Das hat sich auch im Lutherjahr 2017 gezeigt, als wir hier in der Augsburger Innenstadt das Fest der Freiheit gefeiert haben. Da haben alle Gemeinden begeistert mitgemacht. Sie sind nach außen sichtbar geworden. Diesen Geist spürt man bis heute.
Der Rückgang an Kirchenmitgliedern macht Ihnen also keine Sorgen?
Kasch: Er macht mich erstmal traurig, weil ich glaube, dass die Botschaft von Jesus Christus im Leben der Menschen etwas sehr Wertvolles ist. Natürlich wird der Rückgang die Gemeinden verändern. Sie werden in vielen Bereichen kooperieren müssen. Es wird vielleicht ganz andere, neue Modelle für Gemeinde geben. Aber ich denke, das Grundprinzip von Gemeinde, dass wir die Menschen mit ihren Fragen nach einem gelingenden Leben begleiten von der Geburt bis zum Tod, das wird immer unsere Aufgabe sein – egal, wie viele wir sind.
Welche Aufgabe haben Sie für sich persönlich im Ruhestand vorgesehen?
Kasch: Ehrlich gesagt, weiß ich das noch nicht. Ich werde mich ein Stück weit neu erfinden müssen. Das ist auch der Grund, warum ich aus Augsburg weggehen und nach Bayreuth ziehen werde. Mit räumlichem Abstand kann ich besser herausfinden, was ich jenseits des Berufs sein möchte. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass mir der liebe Gott schon eine ordentliche Aufgabe vor die Füße legen wird.
Abschiedsgottesdienst in St. Anna
Der Abschiedsgottesdienst für Susanne Kasch findet am Sonntag, 17. Februar, ab 15 Uhr in Augsburg St. Anna statt. Kaschs Nachfolger wird zum 1. April der Münchner Kirchenrat Michael Thoma.