Viel unspektakulärer geht es eigentlich nicht: eine hübsche halbrunde Sitzbank mit Tisch, drei Fahnenmasten, ein Mülleimer und ein Findling aus Muschelkalk, aus dem schräg ein rot-weiß gestreifter Mast ragt - fertig. Das ist er also, der zukünftige geografische Mittelpunkt der EU, auf einem Acker am Rand des 60-Einwohner-Dorfes Gadheim, einem Ortsteil der Gemeinde Veitshöchheim. Am 31. Januar soll es nach gut zweieinhalb Jahren Brexit-Drama so weit sein: Großbritannien wird die Europäische Union verlassen - sofern das britische Oberhaus und das Europaparlament dem Brexit zustimmen. Beides gilt als Formsache.

Veitshöchheims Bürgermeister Jürgen Götz (CSU) ist ganz Politiker, wenn er zum Thema Brexit befragt wird. Er hatte in den vergangenen Jahren ja auch eine Menge Übung. Die britische BBC hat ihn bereits zum Thema interviewt, die englische Zeitung "Guardian" ebenso wie das chinesische Staatsfernsehen. "Das ist eine zweischneidige Sache", sagt er, während er am Bald-EU-Mittelpunkt steht.

Natürlich freuten sich Gadheimer und Veitshöchheimer "über die Ehre". Aber eigentlich wäre es ihnen allen hier lieber gewesen, die Briten hätten sich eines Besseren besonnen und wären in der Europäischen Union geblieben.

"Viele Jahrzehnte Stabilität, Sicherheit und Wohlstand - das hat uns allen die EU gebracht", findet Götz. Dass die Briten dies nun aufgeben, so ganz versteht er es nicht. Aber wenn's denn schon so kommt, wollte man in Veitshöchheim auch nichts anbrennen lassen. Noch während die Briten mit sich rangen und der Brexit mal wieder mehr, mal weniger wahrscheinlich war, pachtete die Gemeinde den Teil es Ackers und ließ ihn pflastern, bepflanzen und richtete den "zukünftigen geografischen Mittelpunkt der EU ein". Und wenn's doch keinen Brexit gegeben hätte? "Dann wäre der Platz ein Mahnmal für die Einheit Europas geworden."

Mittelpunkt der EU wird nach Brexit ein Acker in Veitshöchheim

Durch den Brexit verschiebt sich der geografische Mittelpunkt der EU um nicht einmal 60 Kilometer Luftlinie: Von Westerngrund im Landkreis Aschaffenburg und nur einen Steinwurf von der bayerisch-hessischen Grenze entfernt nach Veitshöchheim bei Würzburg. Kulturell trennen die beiden Regionen mehr oder weniger Welten, auch wenn beides in Unterfranken liegt. Veitshöchheim ist überregional bekannt durch den bayerischen Fernsehfasching, hat ein Schloss mit Rokoko-Garten, Mainpromenade und man "schöppelt" dort Wein - in Westerngrund ist es dialektal schon ziemlich hessisch und man trinkt lieber "Äbbelwoi".

Die Menschen in Westerngrund nehmen den drohenden Verlust des Titels als geografischer Mittelpunkt der EU übrigens gelassen. Ohnehin waren sie dies erst seit dem 1. Juli 2013, als Kroatien der Europäischen Union beigetreten ist.

Auch Bürgermeister Götz ist bewusst, dass der neue Titel für Gadheim nur ein zeitlich befristeter ist: "Vielleicht spaltet sich ja Schottland von Großbritannien ab und kommt wieder in die EU. Oder ein anderer Beitrittskandidat wird wirklich Mitglied." Bis dahin aber wollen sie in Veitshöchheim und Gadheim mit dem Titel werben - denn Tourismus spielt dort, anders als in Westerngrund, eine große Rolle.

Genau davor, nämlich vor Touristenbussen und Blechlawinen, graut es aber so manchem Gadheimer. Nur mit Namen sagen mag es keiner. "Man will ja kein Spielverderber sein", sagt ein Besucher der kleinen Bäckerei im Ort. Unterdessen glaubt Walter Dieck nicht an (zu) viele Touristen. Und wenn, dann sollen die ruhig kommen und den Acker bestaunen, sich auf die Bank setzen und in Richtung Maintal gucken, sagt der inoffizielle Ortssprecher Gadheims. "Man darf das Ganze nicht zu hoch hängen", findet er - und charakterisiert damit die Gadheimer selbst ziemlich gut: selbstbewusst und trotzdem gelassen fränkisch.

Am Abend des 31. Januar jedenfalls, da will er schon mal ganz bewusst "an die Briten denken", sagt Dieck. Und vielleicht stelle sich ja gegen Mitternacht spontan jemand an die drei Fahnenmasten und spiele die Europahymne. Offiziell muss der neue geografische Mittelpunkt der EU jedenfalls noch auf seine Einweihung warten. Das soll erst irgendwann im März geschehen. Wenn das Wetter besser, der Boden nicht mehr so matschig und der Terminkalender von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) etwas lichter ist. Wobei der schon vorher vorbeikommt: Am 14. Februar wird "Fastnacht in Franken" live aus Veitshöchheim gesendet.