Sie sehen die Ganztagsbildung in Bayern in Gefahr: Die Freie Wohlfahrtspflege Bayern, die Landesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit und der Bayerische Jugendring (BJR) haben am Donnerstag gefordert, die Pauschalen für den offenen Ganztag (oGTS) und für die Mittagsbetreuung von Schulkindern zu erhöhen. Die Pauschalen müssten für den offenen Ganztag um rund 30 Prozent, für die Mittagsbetreuungen um mindestens 90 Prozent angehoben werden, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung.
Offener Ganztag darf keine Aufbewahrung sein
"Die Forderungen sind berechtigt", sagt auch der Leiter der Wilhelm-Löhe-Schule in Nürnberg, Mark Meinhard. In seiner Schule nutzten fast alle Kinder der Grundschulklassen ein Ganztagsangebot, sagte er dem Sonntagsblatt. Der offene Ganztag dürfe aber keine "Aufbewahrung" sein, fordert er, "sondern sinnvolle und pädagogisch gut begleitete Zeit für unsere Kinder". Wer derzeit aber als Anbieter auf dem Markt wirtschaftlich arbeiten wolle, habe mit den vorhandenen Mitteln gar keine andere Wahl, als nicht-pädagogisches Personal anzustellen.
BJR-Präsident Philipp Seitz sagt, "hochwertige Betreuungsangebote im Ganztag sind gerade für Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen oder bildungsfernen Milieus ein wichtiger Türöffner für gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit". Wenn die Träger immer höhere Elternbeiträge in den Ganztagsangeboten verlangen müssten, sei das für auch für berufstätige Eltern eine große Herausforderung.
Wer Bildung zu knapp kalkuliert, gefährdet Zukunft für alle
Um Pädagogen einzustellen oder ihnen eine Nachqualifizierung anbieten zu können, erhebe die Löhe-Schule einen zusätzlichen Beitrag, berichtet Schulleiter Meinhard. Dieser werde aber sozial abgefedert oder übernommen, versichert er. In seiner Schule sieht er die Ganztagsbetreuung nicht in Gefahr. "Wer aber bei der Bildung zu knapp kalkuliert, schafft Schäden in der Zukunft, die uns alle als Land treffen werden", warnt Meinhard, der auch Fachrat in der Akademie für Ganztagsschulpädagogik ist.
Örtliche Jugendringe und Jugendverbände hätten ihr Engagement im Ganztag bereits eingeschränkt oder ganz aufgegeben, stellt der BJR fest. Markus Kreitmayr, Bereichsleiter Kinder, Jugendliche und Freiwillige bei den Johannitern in Bayern, warnte Anfang der Woche in einer Pressemitteilung, "die schon schwierige Finanzierungssituation spitzt sich im kommenden Schuljahr noch weiter zu, und die Angebote sind in Gefahr".
Es fehlen 100 Millionen Euro – mindestens
Die Sprecherin der evangelischen Jugend Nürnberg, Daniela Schremser, erläutert, besonders belastend sei, dass die Träger wegen der derzeitigen finanziellen Lage in jedem Schuljahr neue Kooperationsvereinbarungen mit den Schulen nur für die Dauer eines Jahres abschließen könnten. Fachkräfte müssten sich mit Arbeitsverträgen zufriedengeben, die zeitlich befristet sind. "Dies schmälert die Attraktivität der Stellen". Verwaltungsaufwand und organisatorische Aufgaben, aber auch Elterngespräche würden in den Finanzierungsrichtlinien zu wenig berücksichtigt.
Um eine ausreichende Anzahl von Fachkräften und Verwaltungskosten auch in Zukunft zu finanzieren, fehlten mindestens 100 Millionen Euro, so der BJR. Die Betreuungsquote werde mit der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf ganztägige Förderung von derzeit rund 55 Prozent auf einen Bedarf von 80 Prozent wachsen. Sie sei unter diesen Rahmenbedingungen aber nicht realisierbar. Vielmehr drohe ein Kollaps der bestehenden Ganztagsstrukturen, befürchten die Verbände.
Sozialministerium: "Lassen die Kommunen nicht allein"
Das Sozialministerium teilte auf Anfrage mit, man lasse die Kommunen "nicht allein". Es verwies auf das Ganztagsversprechen der Bayerischen Staatsregierung. Für jeden Ganztagsplatz, den die Kommunen bis 2029 schaffen, garantiere der Freistaat eine finanzielle Unterstützung bei den Investitionskosten.
Insgesamt sollen mit 461 Millionen Euro bis 2028 rund 130.000 neue Plätze für die Ganztagsbetreuung der Grundschulkinder vom Freistaat bezuschusst werden - im Schnitt also 3.546 Euro pro Platz: "Darüber hinaus wird die Förderung im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs fortgeführt."
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