Wolfram Lehmann war selbst fast überrascht, als er festgestellt hat, dass er bereits seit sechs Jahren in Hof Gefängnispfarrer ist – nur jetzt eben in Vollzeit, genauso wie sein katholischer Kollege. Eine Neuerung im neuen Stellenzuschnitt: Lehmann ist jetzt auch für die Menschen in der Einrichtung für Abschiebungshaft verantwortlich. Die Abteilung ist neu in Hof: Die Justizvollzugsanstalt wurde deshalb um 150 Plätze erweitert. Lehmann vergleicht den Vollzeitjob in der JVA durchaus mit einer Gemeindepfarrstelle, denn "auch da wachse ich in meine Gemeinde rein".

Nicht in einer normalen Gemeinde tätig

Am Anfang müsse man die Verhältnisse kennenlernen: "Die Straßen, die Gebäude, die Sitten, die Namen." Das sei am Anfang noch relativ ungewohnt, auch weil ihm gleich zu Dienstbeginn klar werde, dass er nicht in einer "normalen" Kirchengemeinde tätig ist.

"Wenn ich reinkomme, gebe ich meinen Schlüssel und mein Handy ab, das sind einfach die Sicherheitsmaßnahmen."

Formalien, die wichtig sind, aber Zeit kosten, auch bei den Gottesdienstvorbereitungen. Wenn man als "normaler" Gemeindepfarrer einen Gottesdienst in seiner Gemeinde hält, gibt es die Sakristei, die immer für den Pfarrer offen ist, um Mantel und Tasche abzulegen und sich für den Gottesdienst vorzubereiten.

Seelsorge: Die Themen sind die gleichen wie draußen

Im Gefängnis sieht es das anders aus: Allein bis der Pfarrer im Andachtsraum ankommt, dauert es an die 15 Minuten. Das empfindet Lehmann nicht als schlimm, die formalen Prozesse ließen kein schnelleres Ankommen zu. Wichtig sind für Lehmann die persönlichen Gespräche in der JVA, um den Menschen zu zeigen dass er da ist:

"Ich habe noch nie so viele Gespräche geführt wie im Gefängnis."

Und das, obwohl der Weg zum Seelsorgegespräch nicht so einfach ist. Handys sind verboten, also müssen die Inhaftierten noch ganz analog über einen Antragszettel das Anliegen stellen. Bei den Gesprächen sind die Themen nicht viel anders als außerhalb der Gefängnismauer: Glaubensfragen, Lebensfragen oder auch persönliche Dinge werden dem Seelsorger angetragen.

Auch als Beziehungsberater ist Lehmann gefragt. Wenn zum Beispiel ein Gefangener schon lange nicht mehr von der Liebsten gehört hat, dann versucht Lehmann zu helfen, soweit es geht. Telefonate darf er nicht anbieten, aber Formulierungshilfen beim Briefeschreiben sind schon mal drin. Aber nicht nur die Inhaftierten sind für Lehmann wichtig, auch die Bediensteten kommen mit Problemen zu dem Geistlichen. Also eine kleine Gemeinde, hinter schier unüberwindbar wirkenden Mauern.

Lehmann will Menschen in ihrer Verzweiflung beistehen

Zusätzlich zu seinen Aufgaben in der JVA ist Lehmann in Hof auch in der Abschiebehafteinrichtung gefragt. Beide Einrichtungen sind auf einem Grundstück, aber räumlich strikt voneinander getrennt. Auch von den Arbeitsanforderungen her unterscheiden sich beide Einrichtungen enorm. Ein Kollege von Lehmann in einer anderen Abschiebeeinrichtung bezeichnete die Aufgabe mit den Worten:

"Man muss den Menschen die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation klarmache."

Lehmann sieht das nicht so. Er ist der Meinung, dass viele ohnehin davon ausgehen, abgeschoben zu werden, wenn sie in der Einrichtung gelandet sind: "Es ist schließlich eine Abschiebehafteinrichtung." Aber er will den Menschen in ihrer Verzweiflung beistehen. Deswegen geht er auch viel direkter auf sie zu, "weil die verbleibende Zeit im Gefängnis viel kürzer ist".

Rechtsberatung darf er nicht geben

Die Sprachbarriere ist hier natürlich ein Problem, da viel Insassen nur sehr wenig oder gar kein Deutsch sprechen. Aber dank der neuen Videotechnik können Videodolmetscher zu den Gesprächen zugeschaltet werden. So versucht der Seelsorger, den Insassen Fragen zum Ablauf in der Einrichtung zu beantworten oder auch einmal ein offizielles Schreiben zu erklären. Rechtsberatung darf er als Pfarrer natürlich nicht geben, aber zumindest Kontakte herstellen.

Um mit der gefühlten Hoffnungslosigkeit in der Einrichtung zurechtzukommen, halten sich die beiden Seelsorger gegenseitig auf dem Laufenden und besprechen Situationen miteinander. Lehmann versucht, die Geschehnisse nicht ins Privatleben mitzunehmen. Wichtig ist für ihn, dass er ein gut funktionierendes Leben hat, Hobbys, die er gerne macht, und Menschen um ihn herum, die er mag und die ihn mögen.

Und der natürlich Glaube an Gott, "auch wenn ich im Einzelnen immer wieder hinterfrage nach dem Motto: Hey, schaust du da eigentlich hin?" Neben der Einrichtung mit 150 Abschiebehaftplätzen in Hof gibt es weitere Plätze für Abschiebegefangene in Eichstädt (90), Erding (24 bis 35) und am Flughafen München (22).