Festlich erleuchtete Fenster, Stimmengewirr, Prominenz von Peter Maffay bis Carolin Reiber, dazu Menschen aus Politik, Kultur und Kirche: Zum ersten Mal seit der Corona-Pandemie hat die Evangelische Akademie Tutzing am Mittwochabend wieder zu ihrem Neujahrsempfang geladen.

Überschrieben war die Veranstaltung mit den Stichworten Soziale Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, hielt dazu die Festrede im Musiksaal des Schlosses.

Akademiedirektor Udo Hahn: Zu keiner Zeit Mut verlieren

Mit Blick auf das Stichwort der "Zeitenwende" zitierte Akademiedirektor Udo Hahn in seiner Begrüßung den Kirchenlehrer Augustinus: "So wie wir sind, sind die Zeiten." Deshalb dürften Menschen "zu keiner Zeit" die Kraft und den Mut zur Gestaltung der Welt verlieren, sagte der Theologe. Dafür seien Denkräume wie die Akademie Tutzing wichtig, in denen die oft überhörte Perspektive von Betroffenen zur Sprache komme.

Staatsminister Florian Herrmann (CSU) überbrachte in Vertretung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Grußworte der Bayerischen Staatsregierung. Er bezeichnete die Evangelische Akademie als "Denkwerkstatt", die wichtige Impulse in Politik und Gesellschaft aussende. Als Bildungshaus stehe sie für lebenslanges Lernen als "Schlüsselfähigkeit in einer Welt von ständigen Disruptionen", sagte Herrmann.

Ein Mann am Rednerpult
Akademiedirektor Udo Hahn begrüßte 350 Gäste aus Medien, Politik, Kultur und Kirche beim Jahresempfang der Evangelischen Akademie Tutzing.

Bedford-Strohm: Gerechtigkeit einfordern

Auf den Politiker folgte der Kirchenmann: In seiner letzten Tutzinger Rede als Landesbischof fand Heinrich Bedford-Strohm deutliche Worte zum Thema des Abends. Wenn es um Armut und soziale Gerechtigkeit gehe, sei es die Pflicht von Kirche und Diakonie, sich politisch einzumischen, sagte der Theologe. Dazu zitierte er aus der Armutsdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) von 2006: Demnach sei eine Kirche, die "auf das Einfordern von Gerechtigkeit verzichtet" nicht die Kirche Jesu Christi.

Konkret forderte Bedford-Strohm "eine Versachlichung der Steuerdebatte" in Deutschland. Die "Sozialpflichtigkeit privaten Eigentums" müsse angesichts eines Privatvermögens von 7,3 Billionen Euro und "riesiger Zukunftsherausforderungen" selbstverständlich sein.

Die Frage sei nicht, "ob es den Wohlhabenden zumutbar ist, sich stärker an der Finanzierung all dieser gesellschaftlich notwendigen Dinge zu beteiligen", sondern ob mit den Steuereinnahmen auch die gewünschten Effekte erzielt würden. Andernfalls sei das System "dysfunktional", betongte der Theologe, der im Herbst 2023 aus dem Amt scheidet.

Ein Mann am Rednerpult, er trägt ein Kreuz um den Hals
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm richtete beim Jahresempfang der Evangelischen Akademie Tutzing ein Grußwort an die 350 Gäste aus Medien, Politik, Kirche und Kultur.

Verena Bentele: Sozialleistungen lohnen sich

Für die Einführung einer Kindergrundsicherung sprach sich die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, in ihrer Festrede aus. Aus armen Kindern würden "fast zwangsläufig arme Erwachsene und später arme Rentnerinnen und Rentner". Eine Grundleistung für Kinder erzeuge dagegen einen "return on investment": "Künftig bekommt der Staat diese Ausgaben in Form von Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen zurück", erklärte Bentele, die seit 2018 die 2,2 Millionen Mitglieder des Sozialverbands VdK Deutschland repräsentiert.

In ihrer Rede mit dem Titel "Ungleichheit ist kein Schicksal - Wie wir eine solidarische Gesellschaft werden" verwies Bentele auf Studien, nach denen von Armut betroffene Familien erst in der sechsten Generation ein Durchschnittseinkommen erreichten. Armut bedeute "Stress und Sorgen" ohne hoffnungsvolle Perspektive. Zugleich lasse sich der Staat durch Steuerbetrug jährlich 125 Milliarden Steuereinnahmen entgehen und schone Vermögen mehr, als Arbeitseinkommen.

Solidarität wiederum sei die beste Prävention "nicht nur gegen Armut, sondern auch gegen soziale Verunsicherung" und Demokratieverdrossenheit. Demokratie lebe von allen Menschen eines Staats:

"Von den im Lobbyregister Eingetragenen, die jeden Tag ins Maximilianeum kommen - und von denen, die vier Millionen Pflegebedürftige daheim versorgen", sagte Bentele in Richtung von Staatsminister Herrmann.

Beim Thema "Soziale Gerechtigkeit" wegzuschauen, sei für den Staat keine gute Option. Stattdessen brauche es eine zugewandte und solidarische Diskussion, wie mehr Gerechtigkeit gestaltet werden könne.

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