Christliche Symbolik hat es schwer gerade – jedenfalls außerhalb Bayerns. Im historischen Friedenssaal in Münster wurde jüngst beim beim G-7-Außenministertreffen das Ratskreuz entfernt.

Das Kruzifix mit Corpus aus dem Jahr 1540 gehört zur festen Ausstattung des geschichtlich bedeutsamen Orts. Hier wurde 1648 der Westfälische Friede geschlossen, mit dem der verheerende Dreißigjährige Krieg endete. Für die Entfernung des Kreuzes hat sich Außenministerin Annalena Baerbock (die von der Räumaktion wohl nichts wusste) umgehend entschuldigt. Für anhaltende konservative Erregungsstürme reichte die Sache trotzdem.

Claudia Roth wollte Bibelzitate verhüllen

Die Gemüter erhitzt weiter der Vorstoß einer anderen Grünen-Politikerin: Kulturstaatsministerin Claudia Roth wolle die Bibelzitate auf der Kuppel des Berliner Stadtschlosses verhüllen, ergo: canceln, so der Aufschrei der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Unter der Kuppel des äußerlich rekonstruierten Hohenzollern-Schlosses mit dem goldenen Kreuz befand sich einst eine Kapelle.

Vor ihrer Einweihung im Januar 1854 ließ Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. sie außen mit einer aus zwei Bibel-Zitaten zusammengestellten Inschrift versehen. Sie lautet: "Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind. (Apostelgeschichte 4,12 und Philipper 2,10)"

Pläne für Verhüllung schon älter

Roth stellte klar, dass die Planungen für das Kunstprojekt in die Zeit ihrer Vorgängerin Monika Grütters von der CDU als Stiftungsratsvorsitzende des Humboldt Forums zurückgehen. Außerdem sei eine nur "temporäre Überblendung" der Inschrift "mit alternativen, kommentierenden und reflektierenden Texten" vorgesehen, so Roth, und zwar nachts.

Die Bibelzitate seien

"eindeutig eine politische Botschaft, die den allein von Gott abgeleiteten Herrschaftsanspruch des Preußenkönigs untermauert",

argumentiert Roth. Grundgesetz und Demokratie stünden aber nicht in der Traditionslinie eines repressiven Königs- und Kaisertums, das seinen Machtanspruch mit Gottes Gnade begründete.

Kommentieren ist gut, canceln nicht

Auch die Bayern haben ihn im 19. Jahrhundert bald zu spüren bekommen, den preußisch-evangelischen Herrschaftsanspruch, der sich da äußert, und der auch an den innerdeutschen Grenzen nicht halt machte. Roth hat recht: Es ist keine resonanz- oder geschichtslose Bibeltext-Collage, die über dem Humboldt-Forum thront. Kommentieren ist da gut, kontextualisieren ist da gut, Kunst ist da gut. Canceln ist es in der Regel nicht.

Es auch ein Zeichen der Zeit, dass sich die Evangelische Allianz (EAD) im Zuge der Debatte genötigt sah, auf etwas völlig Offensichtliches hinzuweisen: dass nämlich

"das Christentum und die Bibel untrennbar zu Deutschlands Geschichte und Kultur gehören".

Allerdings nimmt die Zahl derer, die das leugnen, offenkundig zu. Wer aber wie die EAD fordert, die Kirchen müssten deshalb an der Kunstaktion beteiligt werden, liegt genauso falsch. Kunst ist Kunst und braucht kein Mitgeschnabel kirchlicher Experten.

Wer vor Christus das Knie beugt

Ja: Religion kann missbraucht werden, der Vers auf der Kuppel kann missbraucht werden. Aber – ähnlich wie der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes – steckt in einem Bekenntnis zur Herrschaft Christi etwas, das gegenüber jeder weltlichen Macht subversiv wirkt.

Wer vor Christus das Knie beugt, muss das vor keinem anderen Mächtigen tun. Auch das, liebe Frau Roth, wäre ein Thema für eine Kunstaktion.