Die Empörung über den Vorschlag, den Bibelspruch am wiederaufgebauten Berliner Schloss zu überblenden, war noch nicht verklungen, da gab es schon neues Futter: Das Auswärtige Amt hat bei einem Treffens der Außenminister*innen der G7 im Tagungsort in Münster ein historisches Kreuz entfernen lassen.

Kreuz abgehängt: Die nächste Runde Kulturkampf

Für gewisse Kreise ein gefundenes Fressen - und eine Einladung, die nächste Runde im Kulturkampf einzuläuten. Denn praktischerweise sitzt im Auswärtigen Amt eine grüne Ministerin, Annelena Baerbock. Und was gibt es schöneres, als die gruselige Geschichte von den grausamen Grünen, die Teil einer Verschwörung gegen alles Althergebrachte, in diesem Fall "christliche Werte" (bestehen die wirklich darin, Kruzifixe aufzuhängen?) sind? 

Noch schöner wäre es höchstens gewesen, wäre ein Staatsgast aus einem muslimischen Land zu Gast gewesen. Dann hätte man das Ganze gleich als einen Kniefall vor "dem Islam" verkaufen können. Dummerweise war aber keiner da. Trotzdem reichte es natürlich immer noch zu der Erzählung vom angeblichen Ausverkauf der eigenen Identität - lustigerweise genau von denjenigen, die sonst Identitätspolitik in einem abwertenden Sinne gebrauchen.

Baerbock hatte mit Entscheidung nichts zu tun

Schade natürlich auch, dass sich schon kurz nach Bekanntwerden herausstellte, dass die Außenministerin Baerbock mit der Entfernung des Kreuzes gar nichts zu tun hatte. Sie sei mit der Frage gar nicht befasst gewesen, teilte ein Ministeriumssprecher mit. 

Baerbock, die selbst durchaus kirchennah ist, bedauerte die Entscheidung sogar. "Ich hätte es gut gefunden, wenn wir es nicht weggeräumt hätten", sagte sie. Es sei keine bewusste Entscheidung gewesen, "erst recht keine politische Entscheidung, sondern offensichtlich eine organisatorische Entscheidung." 

Einige Medien mussten ihre Berichterstattung also korrigieren, denn anfangs hatte das Narrativ noch gelautet: Baerbock hängt Kreuz ab, gerade so, als ob die Außenministerin das christliche Symbol eigenhändig von der Wand gerissen hätte. 

Kulturkampf nimmt immer mehr Fahrt auf

Doch unabhängig von solchen Details bleibt festzuhalten: Der Kulturkampf, den wir bereits aus den USA kennen und der die dortige Demokratie immer stärker bedroht, nimmt auch in Deutschland immer mehr Fahrt auf.

Nicht immer entzündet er sich an christlichen Symbolen. So reichten 2022 auch schon die Weigerung einiger Veranstalter, ein sexistisches Lied zu spielen ("Layla") oder die Weigerung eines Verlags, ein veraltetes Kinderbuch voller kolonialer und rassistischer Klischees in einer Neufassung aufzulegen ("Winnetou") aus, um wütende, größtenteils völlig überzogene Reaktionen auszulösen. 

Immer gleiche Empörungsketten

Das läuft meist nach einem bestimmten Schema ab: Ein Medienbericht (nicht selten steht die "Bild"-Zeitung am Anfang dieser speziellen Nahrungskette) jazzt einen eher nebensächlichen Vorgang zu einem Skandal hoch. Ohne Details oder die Richtigkeit der Darstellung zu prüfen steigen Politiker*innen darauf ein.

Dabei sind sie sich weder zu schade, Falschmeldungen zu verbreiten, noch sehen sie sich in der Pflicht, diese wenigstens später wieder zu korrigieren. So stellte Justizminister Buschmann (FDP) die private Entscheidung einiger Veranstalter, "Layla" nicht zu spielen, als ein staatliches Verbot dar. Ministerpräsident Söder (CSU) wiederum verbreitete die unzutreffende Darstellung, als Reaktion auf die "Winnetou"-Debatte 2022 zeige die ARD die entsprechenden Filme nicht mehr. Tatsächlich war dies schon seit mehreren Jahren nicht mehr der Fall.

Fakten sind egal

Auch Söders Tweet zum entfernten Kreuz in Münster ziert nach wie vor eine verzerrte Darstellung. "Baerbock lässt Kreuz abhängen", hatte die "Welt" getitelt. Inzwischen hat sie ihre Darstellung zwar richtiggestellt. Der Tweet bleibt dennoch stehen - genau wie Söders Aufgreifen der Falschinformation.

Das Vorgehen folgt einer Logik: Fakten sind egal. Es geht um das große Ganze. Das unbestimmte Gefühl, irgendwie bedroht zu sein, ersetzt genaues Hinschauen, Nachdenken, Einordnen. Irgendwelche finsteren Mächte führen finsteres im Schilde, Gut kämpft gegen Böse. Christen gegen, Achtung, Antichristen.

Veränderung ist böse

Und böse ist alles, was irgendwie Veränderung fordert. Das können Klima-Aktivist*innen sein, Anti-Rassist*innen oder Feminist*innen. Eben alle, die der Gesellschaft den Spiegel vorhalten und ihre dunklen Seiten aufzeigen. 

Nur um christliche Werte wie Mitgefühl, Hilfe für Arme, Mitleid mit Kranken und Schwachen geht es dabei nicht. Auch wenn christliche Symbole immer mal wieder als Aufhänger herhalten müssen. 

Das Kreuz mit dem Kreuz

Natürlich kann man die Entscheidung, das Kreuz abzuhängen kritisieren. Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus hat genau das getan – sachlich und auf der Basis von Fakten. Als "vollkommen unverständlich" bezeichnete sie die Entscheidung. 

Tatsächlich fällt auch mir kein guter Grund ein, das Kruzifix abzuhängen. Warum sollte es irgendjemand stören? Doch der Schaden, der durch die Instrumentalisierung solcher Vorgänge durch bestimmte Kreise entsteht, ist mit Sicherheit schlimmer – und folgenreicher. Ein kurzer Blick in die USA, wo solche aufgeheizten Debatten inzwischen auf der Tagesordnung stehen, zeigt dies eindrücklich. 

Als Christ*innen müssen wir daher aufpassen, dass wir uns in unserer berechtigten Verwunderung über solche absurden Vorgänge nicht vor den Karren derer spannen lassen, die Zuspitzung, Polarisierung und Kulturkampf wollen. 

 

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