Herr Seidl, Sie haben drei Wochen in der Abgeschiedenheit eines Klosters gelebt und sind zwischen wild romantischen Schluchten aus Granitfelsen gewandert. Wie hat das auf Sie gewirkt?

Leonhard F. Seidl: Ich war täglich draußen und habe die Landschaft erkundet. Als ich zum Beispiel im Birkleitenbachtal unterwegs war, ein enges Tal neben einem Bach, in dem das Wasser über vermooste Granitfelsen springt, hat sich ein Mäusebussard über die Baumwipfel erhoben und ist auf mich zugeflogen. Da hat mich der Schatten des Mäusebussards im wahrsten Sinn des Wortes berührt.

Das sind besondere Momente, wenn man mit der Natur in Verbindung kommt. Und dann gilt es als Autor, dafür die richtigen Worte zu finden, ohne dass es esoterisch wird oder zu romantisch.

In der Literatur firmierte die Natur lange als ein Gegenbild zur Gesellschaft, man denke nur an Goethes "Italienische Reise" oder die blaue Blume der Romantik. Aber es gab auch die Blut- und Boden-Dichtung der Nazizeit. Ist Natur als literarisches Thema seither verbrannt?

Ich will den Nazis und der neuen extremen Rechten, der AfD und den Identitären, natürlich nicht den Gefallen tun, nicht mehr über Natur zu schreiben, nur weil es die Nationalsozialisten kontaminiert haben. Oder weil die neue extreme Rechte die Kornblume als menschenfeindliches Symbol vereinnahmt hat.

Nichtsdestotrotz gibt es einige Fallstricke, wenn Natur mit Volk gleichgesetzt wird und der deutsche Wald überhöht wird. Oder wenn die Natur nur dazu dient, die eigenen Befindlichkeiten zu projizieren.

Bei Bert Brecht heißt es in einem Gedicht, es sei ein Verbrechen, über Bäume zu schreiben.

Heute ist es genau andersherum. Es gibt eine Renaissance des Nature Writing, auch in Deutschland. Durch den Kalten Krieg war literaturhistorisch betrachtet die Zeit bis in die 90er Jahre stark ideologisch geprägt. Da ist es nachvollziehbar, dass es Vorbehalte gegen politische Literatur gab. Heute aber findet sich kaum ein Verlag, der nicht einen Roman mit Naturbezügen im Programm hat. Es gibt auch einen deutschen Preis für Nature Writing.

Wie wollen Sie folglich über Natur schreiben, über Klimakrise, Artensterben oder Tierleid?

In Frauenzell komme ich zum Beispiel nicht drumherum, wenn der Text in der Gegenwart spielt, die Stromtrasse zu thematisieren, weil da wirklich eine Schneise der Verwüstung in die Gegend geschlagen wird - mit unabsehbaren Folgen für die menschlichen als auch für die nicht-menschlichen Tiere.

Es weiß keiner, wie ein Landwirt darauf reagieren wird, wenn sein Acker enteignet wird, zumal Landwirte heute mit einem großen psychischen Druck umgehen müssen. Ich bin auf der Suche nach Brechungen beispielsweise ironischer Natur oder in denen die Natur als nicht mehr Vorhandenes, als zu Betrauerndes dargestellt wird, was sich in der Geschichte des Ich-Erzählers widerspiegeln kann. Da die Herausforderungen der Gegenwart ganz auszuklammern, fände ich tatsächlich schwierig.

Der Philosoph Peter Sloterdijk sprach davon, dass die Erde zur Sklavin der Menschheit verkommen ist.

Der Mensch hat es in den vergangenen 100 Jahren geschafft, seine Existenzgrundlage so unwiederbringbar zu zerstören, dass die nächsten Generationen nur unter katastrophalen Bedingungen leben können.

Das auszublenden, fände ich ignorant.

Das sage ich nicht nur, weil ich Papa von zwei Kindern bin.

Welche Reaktion erwarten Sie von Literaten?

Literatur kann Erkenntnisprozesse anstoßen, bestenfalls kann sie fordern, dass Verantwortung für die Natur übernommen wird. In Frauenzell habe ich Franz Löffl, den zweiten Bürgermeister von Brennberg, schätzen gelernt. Über ihn zu schreiben, wäre eine Option: Er war jahrzehntelang Förster und hat mir viel im Wald gezeigt.

Er hat mit dafür gesorgt, dass Brennberg eine von elf Biodiversitätsgemeinden wurde. Auf seinem Einödhof lässt er Magerrasen gedeihen, da wachsen ganz viele, teilweise auf der Roten Liste stehende Arten. Ein Insektenkundler hat in einer Nacht über 100 verschiedene Insekten identifiziert. Das Tragische ist, dass die Stromtrasse durch diese Wiese geführt hätte, was abgewendet werden konnte durch die Artenvielfalt.

Jetzt wird sie einen Steinwurf entfernt durch das sogenannte Himmelthal verlaufen. Franz Löffl sagt: Der Mensch ist ein Beutegreifer, der über die Stränge geschlagen hat.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden