Eine wesentliche Facette Münchens hob der Pfarrer und Historiker Armin Rudi Kitzmann (83) ans Licht. Die bayerische Landeshauptstadt galt als katholische Stad und war über Jahrhunderte romtreue Hochburg jenseits der Alpen.

Dass sich der Protestantismus trotzdem in der Stadt etablieren konnte, lag an der fortschrittlichen Politik des Kurfürsten Max Joseph, der im Juli 1801 den Münchner Stadtrat zwang, dem aus Mannheim stammenden protestantischen Weinhändler Johann Balthasar Michel das Stadtrecht zu geben. Die überaus spannende Geschichte des Protestantismus vor und nach diesem Schlüsselereignis war lange verborgen, bis Kitzmann in den Archiven stöberte und die Kirchengeschichte in mehreren Abhandlungen darstellte. Dafür wurde er jetzt mit dem Ehrendoktor der theologischen Fakultät der Münchner Universität geehrt.

Geschichte der Münchner Protestanten aus Quellenwerken des Landeskirchenamts

Als Armin Rudi Kitzmann 1969 als Schulpfarrer ans Münchner St.-Anna-Gymnasium kam, war Kirchengeschichte Teil des Religionsunterrichts. "Ich wollte dieses Kapitel anhand der Geschichte der Münchner Protestanten anschaulich machen", erzählt Kitzmann. Als heimatvertriebenem Deutschen aus Alexandrów (heutiges Polen) und vorherigem Vikar in Oberfranken war ihm das evangelische München jedoch ein unbeschriebenes Blatt. Er wandte sich ans Landeskirchenamt, wo er im Archiv einige Quellenwerke zur Münchner Kirchengeschichte auswerten konnte. Fündig wurde er auch in der umfangreichen Sammlung der Christuskirche in München-Neuhausen. Hier waren auch die alten Ausgaben des Münchner Gemeindeblatts verfügbar.

Bücher Kitzmanns sind unverzichtbare Standart-Literaturwerke der Kirchengeschichte Münchens

Kitzmann war von der spannungsreichen Geschichte der Münchner Protestanten so gefesselt, dass er damit bald über den Bereich der Schule hinausging. Es folgten Vorträge in Kirchengemeinden, an der Stadtakademie und Führungen durch das evangelische München. Das gesamte Wissen packte er in zwei Bücher, die in ihrem unglaublichen Detailreichtum inzwischen als unverzichtbare Standardwerke der Kirchengeschichte Münchens gelten. Einen Mitstreiter hatte er dabei in Christoph Schmerl, der von 1975 bis 1988 Pfarrer an der Adventskirche in Aubing war.

Der erste Band "Das offene Tor" (1990) zeichnet auf didaktisch anregende Weise die Münchner Protestantismusgeschichte von den reformatorischen Anfängen bis 1918 nach. Der zweite Band "Mit Kreuz und Hakenkreuz" (1999) behandelt die evangelische Stadtgeschichte von der Revolution 1918 über die Weimarer Republik bis in die NS-Zeit.

Die beiden Münchner Theologieprofessoren Reiner Anselm und Harry Oelke sind sich in ihrer Würdigung Kitzmanns einig, er habe "die Situation des Münchner Protestantismus in der Weimarer Republik und in der NS-Zeit in bis dahin nicht erreichter Genauigkeit mit großer Sachkenntnis" offengelegt. Seine Arbeiten überzeugten durch einen stets erfrischenden Bezug auf lokalgeschichtliche Quellen. Das gelte auch für sein drittes Buch, in dem er das "Wagnis Widerstand" (2016) für die evangelischen Christen in München während der NS-Zeit herausstellt und Einblicke in die christlichen Beweggründe für ein couragiertes Verhalten in einem totalitären politischen Umfeld ermöglicht. Vorbildlich habe sich Kitzmann zudem als öffentlicher Kommunikator seiner historischen Ergebnisse erwiesen, heißt es in der Laudatio zu Verleihung der Ehrendoktorwürde.

Kitzmann ging es nie allein um die Vermittlung historischen Wissens: "Ich wollte historisch fundiert das evangelische Selbstbewusstsein in der katholisch geprägten Stadt stärken." Hier sieht sich Kitzmann allerdings auch als gescheitert. Die Umbenennung der Meiserstraße im Juli 2007, gegen die er erfolglos publizistisch gekämpft hat, beklagt er als Folge von Geschichtsvergessenheit und als Niederlage des Protestantismus in München.

Ex-Landesbischof Hans Meiser im Visier der Nationalsozialisten

Nach seinen umfangreichen Quellenrecherchen sieht Kitzmann bis heute Meiser als "herausragende Reiz- und Feindperson für das Naziregime". "Vor allem wegen seiner Judenfreundschaft und der Verteidigung des Alten Testaments wurde er als Staatsfeind und als Volksverräter gebrandmarkt", stellt Kitzmann fest. Meiser sei ins Visier der Nationalsozialisten geraten, weil er sich der Judenfeindschaft der staatlich dominierten Reichskirche unter Reichsbischof Müller nicht angeschlossen habe, weil er am Alten Testament als einer Grundlage christlichen Glaubens festgehalten und ein "artgemäßes deutsches Christentum" als unbiblisch bezeichnet habe.

Mit "fünf Geboten" habe sich Meiser nach Einschätzung Kitzmanns in einem Artikel im Nürnberger Gemeindeblatt bereits 1926 auf die Seite der Juden gestellt: "Als Christen sollen wir die Juden mit Freundlichkeit grüßen, mit Selbstverleugnung tragen, durch hoffende Geduld stärken, mit wahrer Liebe erquicken, durch anhaltende Fürbitte retten. Das ist unser Weg in der Judenfrage, der Weg der Gemeinde Jesu Christi ..." Damit habe Meiser die Christen in Nürnberg aufgefordert, sich schützend vor die Juden zu stellen. Referierte antisemitische Klischees im selben Artikel reichten jedoch aus, um Meiser zu entehren. Die Münchner Meiserstraße, weiß Kitzmann, ist wohl für immer verloren. Aber eine Rehabilitierung des ersten Landesbischofs der bayerischen Kirche hält er für angebracht.