Der mit dem Regierungsantritt Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 eingeleitete politische Umschwung wurde von der Mehrzahl der deutschen Protestanten aufrichtig begrüßt. Obwohl die Nationalsozialisten sich von Anfang an mit revolutionärer Rücksichtslosigkeit in Staat und Gesellschaft etablierten und mit brutaler Gewalt gegen politische und weltanschauliche Gegner vorgingen, waren die Kirchenleitungen in der Regel darum bemüht, die Kirche positiv in die neuen politischen Verhältnisse einzubringen. Auch die bayerische Kirchenleitung begrüßte im April 1933 den neuen Staat als einen "Staat, der wieder anfängt, nach Gottes Gebot zu regieren", und versicherte ihn "nicht nur des Beifalls, sondern auch der freudigen und tätigen Mitarbeit der Kirche".
Ähnliche Huldigungsadressen waren in jenen Tagen aus fast allen Landeskirchen zu vernehmen. Sie machen deutlich, wie wenig die Ideale der Weimarer Republik in den Kirchen wirklich Fuß gefasst hatten und wie anfällig diese mit ihrer deutschnational, antiliberal und antidemokratisch geprägten Politiktradition für die sugges¬tive Kraft des Nationalsozialismus waren. Evangelische Theologen und Kirchenmänner projizierten nicht nur alle möglichen Hoffnungen und Erwartungen in den Nationalsozialismus hinein; manche gingen sogar so weit, die Person Hitlers theologisch zu überhöhen und das Regime auch theologisch zu legitimieren.
Kirchenpräsident Veit tritt zurück
In der bayerischen Landeskirche musste der seit 1917 amtierende Kirchenpräsident Friedrich Veit (1861-1948), der einmal gesagt haben soll, er könne "kein Braunhemd mehr sehen", auf Druck politischer Stellen, nationalsozialistischer Pfarrer und leitender Kirchenvertreter am 11. April 1933 zurücktreten. Zu seinem Nachfolger und zugleich zum Landesbischof wählte eine außerordentliche Landessynode am 4. Mai 1933 den bisherigen Oberkirchenrat Hans Meiser (1881-1956), der bis 1955 den kirchenpolitischen Kurs der bayerischen Landeskirche prägte.
Politisch national und konservativ eingestellt, stand Meiser dem Nationalsozialismus aufgeschlossen gegenüber, nicht zuletzt deshalb, weil er in ihm eine religiöse Kraft sah, von der er sich eine Unterstützung bei der Wiedergewinnung des entkirchlichten Volkes für die Kirche erhoffte. Die politischen Stellen nahmen keinen Anstoß an seiner Wahl, und seine Amtseinführung am 11. Juni 1933 in der Lorenzkirche in Nürnberg unter Beteiligung politischer Prominenz gestaltete sich zu einer Demonstration des guten Einvernehmens zwischen Staat und Kirche.
Doch dieses gute Einvernehmen hielt nicht lange vor. Das lag nicht etwa an einer Distanzierung der Kirche vom Nationalsozialismus, sondern an innerkirchlichen Auseinandersetzungen, die sich auch politisch auswirkten. Nach dem Regierungsantritt Hitlers hatte nämlich die nationalsozialistisch orientierte Kirchenpartei der "Deutschen Christen" großen Zulauf erhalten und beanspruchte jetzt Führungspositionen in der Kirche, besonders in der von ihr propagierten "Reichskirche", zu der sich die 28 evangelischen Landeskirchen zusammenschließen sollten.
Dank der Unterstützung Hitlers und der NSDAP erreichten die Deutschen Christen kurzfristig ihr Ziel. Wider geltendes Staatskirchenrecht ordnete Hitler im Juli 1933 für die evangelische Kirche allgemeine Kirchenwahlen an, die die Deutschen Christen fast überall gewannen. Sie bezogen nun in den meisten Landeskirchen die entscheidenden Schlüsselpositionen, vor allem in der "Reichskirchenregierung", an deren Spitze ab September 1933 der deutschchristliche Reichsbischof Ludwig Müller (1883-1945) stand.
In Bayern allerdings gelang es dem Landesbischof – ähnlich wie in Württemberg –, dass sich die Deutschen Christen seiner Führung unterstellten. Als der Reichsbischof jedoch seine theologische und charakterliche Dürftigkeit offenbarte, vor Rechts- und Verfassungsbrüchen nicht zurückschreckte und häretische Überzeugungen der Deutschen Christen (z. B. Einführung des "Arierparagrafen" in die Kirche; Abschaffung des Alten Testaments) immer deutlicher zutage traten, wurde Meiser zu einem der konsequentesten Widersacher des Reichsbischofs und für eine Zeit lang Sprecher der sich nun ab Herbst 1933 sammelnden kirchlichen Opposition. Diese kirchliche Opposition, der zeitweise mehr als ein Drittel der Pfarrerschaft angehörte, arbeitete auf den Sturz des Reichsbischofs und die Ablösung der deutschchristlichen Kirchenregierungen hin. Meiser brachte den Spagat zwischen christlich motivierter Obrigkeitstreue und kirchenpolitischer Kritik gegenüber Hitler 1934 zum Ausdruck: "Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als unseres Führers allergetreueste Opposition zu werden."
Barmer Erklärung als "theologische Visitenkarte"
Diese "allergetreueste Opposition" litt fortan an dem Dilemma, für die Freiheit und die Sache der Kirche zu kämpfen, deswegen aber von staatlicher Seite der politischen Unzuverlässigkeit bezichtigt zu werden. Im Frühjahr 1934 formierte sie sich reichsweit zur Bekennenden Kirche, die beanspruchte, die rechtmäßige evangelische Kirche zu sein. Mit der Barmer Theologischen Erklärung gab sie Ende Mai 1934 gleichsam ihre theologische Visitenkarte ab.
Trotz der starken Opposition hielt die deutschchristliche Reichskirchenregierung, repräsentiert durch Reichsbischof Müller und seinen "Rechtswalter" August Jäger (1887-1949), zäh daran fest, den föderativ gegliederten Protestantismus in eine staatshörige Einheitskirche zu verwandeln. Zwar sollten die Landeskirchen als solche erhalten bleiben, die Leitung und die Rechtssetzung jedoch auf die Reichskirche übergehen. Bis zum Sommer 1934 gliederten sich die meisten Landeskirchen unter Führung der Deutschen Christen mehr oder weniger freiwillig in die Reichskirche ein, lediglich Bayern, Württemberg und die kleine reformierte Landeskirche Hannover lehnten die Unterstellung unter die Reichskirche ab.
Die Reichskirchenregierung ließ keinen Zweifel daran, dass sie die "Eingliederung" der renitenten Kirchen notfalls erzwingen würde. Sie wurde in Bayern unterstützt durch die Deutschen Christen, einen Teil der nationalsozialistischen Pfarrer und durch einflussreiche politische Instanzen. Auch Hitler selbst gab wiederholt zu erkennen, dass er mit der Politik Müllers und Jägers einverstanden war.
In Bayern verlief die Entwicklung fortan äußerst dramatisch. Als die Kirchenleitung und auch die außerordentliche Landessynode trotz ihrer mehrheitlich nationalsozialistischen Synodalen im August 1934 die Eingliederung ablehnten und Meiser ihr Vertrauen aussprachen, setzten die Deutschen Christen im Verein mit politischen Stellen zu einem Kesseltreiben gegen den Landesbischof an und forderten seinen Rücktritt. Jetzt zeigte sich aber, wie stark die Widerstandsbereitschaft der bekenntnistreuen Gemeinden war. Im ganzen Land wurden Hunderte von Bekenntnisgottesdiensten als Treuekundgebungen für den Landesbischof gehalten.
Dennoch kam es im Oktober 1934 in München zu dem nicht ganz unerwarteten Eklat. Jäger, der sich vorher des Einverständnisses des "Braunen Hauses" und der Politischen Polizei versichert hatte, erschien im Landeskirchenrat, trat dort als Vorgesetzter der Beamten auf, verkündete die Absetzung Meisers, stellte ihn – wie schon einige Tage vorher den württembergischen Landesbischof Theophil Wurm (1868 -1953) – unter Hausarrest, beurlaubte einige Oberkirchenräte und gab die Aufteilung der Landeskirche in zwei Kirchengebiete unter kommissarischen deutschchristlichen Bischöfen bekannt.
Hitlers einzige innenpolitische Niederlage
Die Nachricht von dieser Aktion verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Landeskirche und über ihre Grenzen hinaus. Tausende von Gemeindegliedern versammelten sich zu einem Bittgottesdienst in der Münchner Matthäuskirche; danach trat Meiser den ihm von der Politischen Polizei verordneten Hausarrest an. Die Protestaktionen zogen noch weitere Kreise. Für den arretierten Bischof wurden Sondergottesdienste gehalten, Bauernabordnungen aus den Gemeinden protestierten bei hohen politischen Stellen in München und Berlin, die Reichsbekenntnissynode trat zum zweiten Mal zusammen und rief den kirchlichen Notstand aus.
Der "Kirchenkampf", der von der NS-Führung gern als bloßes "Pastorengezänk" abqualifiziert wurde, hatte jetzt fast den Charakter eines Volksaufstands angenommen. Da sich auch ausländische Kirchen über die kirchliche Entwicklung in Deutschland beunruhigt zeigten, kam es zu einer überraschenden Wende: Hitler setzte den reichskirchlichen Gewaltaktionen ein Ende und hob den Hausarrest für die Bischöfe Meiser und Wurm auf. Damit hatten die Deutschen Christen und die Reichskirchenleitung einen erheblichen Dämpfer bekommen, und die bayerische und württembergische Landeskirche blieben verfassungsmäßig "intakt".
Auf der anderen Seite musste aber auch Hitler erkennen, dass sein kirchenpolitisches Konzept, mit Hilfe der Deutschen Christen eine einheitliche und staatskonforme evangelische Reichskirche zu schaffen, gescheitert war. Der Widerstand der bekenntnistreuen Gemeinden und ihrer Bischöfe hatte deutlich gemacht, dass die Kirchen sich nicht in gleicher Weise "gleichschalten" ließen wie andere Einrichtungen des politischen und gesellschaftlichen Lebens. Hitler hat damit seine wohl einzige innenpolitische Niederlage erlitten.
Nach diesem Höhepunkt des "Kirchenkampfes" setzte die bayerische Kirchenleitung alles daran, die institutionelle "Intaktheit" der Landeskirche nicht durch eine Konfrontation mit Staat und Partei aufs Spiel zu setzen. Darum war sie immer wieder bereit, Erwartungen des Staates entgegenzukommen oder staatlichem Druck nachzugeben, wobei auch im Nachhinein nicht immer deutlich auszumachen ist, wo die Grenzen zwischen erzwungenen Zugeständnissen und freiwillig erbrachten Anpassungsleistungen zu ziehen sind.
Der nach außen wie nach innen hin vermittelnde Kurs der Kirchenleitung, der von der Mehrheit der bayerischen Pfarrerschaft mitgetragen wurde, konnte allerdings nicht die von Staat und Partei seit 1935 zunehmend forcierte Politik der "Entkonfessionalisierung des gesamten öffentlichen Lebens" verhindern. Die Arbeitsfelder der Kirche mussten sich mehr und mehr auf den engeren Bereich von Verkündigung und Seelsorge beschränken. Der Kampf um die Beibehaltung der Bekenntnisschulen ging verloren, auch der Kampf gegen die Zurückdrängung der Geistlichen aus dem schulischen Religionsunterricht blieb erfolglos.
Ein betrübliches Kapitel ist von heute aus gesehen das Verhalten der Kirche in der sogenannten "Judenfrage". Der prominente Laie und frühere Synodalpräsident Wilhelm Freiherr von Pechmann (1859-1948) hatte schon 1933 angesichts der ersten antijüdischen Maßnahmen die Kirchenleitung vergeblich zu öffentlichem Protest aufgefordert. Sie protestierte zwar in der Folgezeit immer wieder gegen die Verunglimpfungen judenfreundlicher Pfarrer oder jüdischer Elemente der christlichen Lehre, vermied jedoch jede öffentliche Kritik an der nationalsozialistischen Judenpolitik. Angesichts der brutalen Ausschreitungen gegen die Juden in der sogenannten "Reichspogromnacht" beschloss der Landeskirchenrat ausdrücklich, von einem Schritt bei staatlichen Stellen abzusehen, obwohl in jener Nacht auch einzelne bayerische Pfarrer als "Judenfreunde" beschimpft und misshandelt wurden. Die Pfarrer der Nürnberger Lorenzkirche setzten ein eindrucksvolles Zeichen kirchlichen Protests, als sie am Bußtag 1938 vor den Altar traten, um die Zehn Gebote laut vorzusprechen; aber nur wenige Pfarrer nahmen in ihrer Bußtagspredigt gegen die neuerliche Eskalation der Judenverfolgung Stellung.
"Gleichschaltung" abgewehrt, aber sprachlos geblieben
Als 1941 die Deportationen der Juden in die Vernichtungslager begannen, waren es immer wieder Laien, die die Kirchenleitung zu Protestschritten in der Form schriftlicher Eingaben oder öffentlicher Stellungnahmen veranlassen wollten. Neben Pechmann und dem Dichter und Laienprediger Rudolf Alexander Schröder (1878-1962) ist vor allem der Kreis um den Münchner Verlagsbuchhändler Albert Lempp (1877-1943) zu nennen, der 1943 dem Landesbischof eine Denkschrift überbrachte, die die Grundlage für einen öffentlichen Protest der Kirchenleitung gegen die staatliche Judenverfolgung abgeben sollte. Obwohl Meiser den Text weitgehend billigte, der sehr deutlich von der Mitverantwortung der Christen für das Schicksal der Juden sprach und die Kirche davor warnte, "vor dem gegen Israel gerichteten Angriff sich selbst in Sicherheit zu bringen", lehnte er den Schritt in die Öffentlichkeit ab, um die Kirche nicht in Gefahr zu bringen.
Wenn auch das öffentliche Eintreten der Kirche für die Juden ausblieb, so finanzierte sie doch immerhin ab Januar 1939 in München und Nürnberg zwei Hilfsstellen, die zahlreichen aus rassischen Gründen verfolgten Christen materiell und seelsorgerlich helfen und die Auswanderung aus Deutschland ermöglichen konnten.
Das Gesamturteil über die Haltung der bayerischen Kirche im "Dritten Reich" kann nur ambivalent ausfallen. So sehr auf der einen Seite positiv hervorzuheben ist, dass sie die drohende "Gleichschaltung" abwehren, ihre institutionelle "Intaktheit" bewahren und ihre Verkündigung von deutschchristlicher Überfremdung freihalten konnte, so sehr muss aus heutiger Sicht kritisiert werden, dass sie angesichts der ethisch-moralischen Herausforderungen durch die Verbrechen des Nationalsozialismus weithin sprachlos geblieben ist.