Manchmal finden Johanna Treß und ihre Kollegen tatsächlich noch jemanden lebend. Vergangenes Jahr war wieder so ein Fall, als eine 70-Jährige um Hilfe bat: Ihr Vater sei Ende des Krieges wie viele andere Rumäniendeutsche in die Sowjetunion verschleppt worden, seitdem fehle der Familie jede Spur. "In unseren Beständen gab es tatsächlich eine Gefangenenakte von dem Mann. Darin war auch verzeichnet, im welchem Lager er interniert war." Johanna Treß googelte den Namen des Ortes und des Mannes - und fand einen Zeitungsbericht zu dessen 90. Geburtstag, anschließend sogar die heutige Adresse. "Daraufhin habe ich ihn angeschrieben und wir konnten die Familie zusammenführen", sagt sie.

Oft kommen solche Fälle nicht vor im Arbeitsalltag beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in München. Seit Oktober 1945 gibt es diese Einrichtung. Sie wurde gegründet, um herauszufinden, was mit Verschollenen des Zweiten Weltkrieges geschehen ist. Noch heute gibt es pro Jahr mehr als 10.000 Anfragen: Es geht darum herauszufinden, wo jemand gefallen ist, in welchem Lager er verstorben ist. "Wir suchen hier manchmal die Stecknadel im Heuhaufen", sagt Johanna Treß.

Rotes Kreuz sucht auch in alten UdSSR-Datenbänken

Sie arbeiten beim Suchdienst mit einer Menge Datenbanken - der vielleicht größte Schatz sind zwei Millionen eingescannte Akten aus alten UdSSR-Beständen. Wenn Johanna Treß nach einem Verschollenen in dieser Region sucht, ist der erste Schritt meist die Arbeit mit einer Suchmaske auf ihrem PC: Man kann dort den etwa Namen des Gesuchten eintragen, den Wohnort oder den Vornamen des Vaters - im Russischen oft eine wichtige Information. Gibt man die vorhandenen Daten ein, bekommt man gleich ein paar Akten vorgeschlagen, die mit dem Eintrag verknüpft sind.

Sucht Johanna Treß also nach einem "Peter Müller", erfährt sie möglicherweise, dass es eine Akte gibt, in welcher der letzte Wohnort eines Peter Müller verzeichnet ist oder die eines weiteren, die ein Todesdatum enthält. Um die Identität und das Schicksal klären zu können, müssen Treß und ihre Kollegen dann die Akte durcharbeiten. Manchmal finden sie etwas über das Schicksal eines Menschen heraus, manchmal nicht. "So kann man oft nachvollziehen, wo jemand in Gefangenschaft geriet oder in welchem Lager er zuletzt registriert war."

2025 wird der Suchdienst eingestellt 

2025 soll der Suchdienst für die Vermissten des Zweiten Weltkrieges eingestellt werden, das Bundesinnenministerium will diese Aufgabe dann nicht mehr finanzieren. Und doch geht es dann beim DRK weiter, denn eine andere Abteilung im Haus wird immer wichtiger: Sie sucht Menschen, die aufgrund aktueller Konflikte und Katastrophen verschollen sind und um die sich Angehörige sorgen. Die Wahrscheinlichkeit, einen lebenden Menschen aufzuspüren, ist hier wesentlich höher: "Wir haben rund 2.000 Anfragen im Jahr, die Erfolgsquote liegt bei 30 bis 40 Prozent", sagt Teamleiterin Marina Brinkmann.

Anders als ihre Kollegin Treß verfügt Brinkmann über keinen großen Aktenschatz. Ihre Suche ist von viel mehr Zufällen geleitet - und sie endet immer an der deutschen Grenze: Entweder gibt es eine Anfrage eines Menschen, der in Deutschland lebt und einen Angehörigen im Ausland sucht - diese nimmt das Rote Kreuz auf und sendet sie an Rotkreuz-Gesellschaften im Ausland. Oder aber sie erhält eine Anfrage von einer solchen Gesellschaft, ob sich ein Gesuchter in Deutschland ausfindig machen lässt. Hier erfolgt meist eine Anfrage beim Ausländerzentralregister, in dem der Wohnort eines Nicht-EU-Ausländers vermerkt ist. Es folgen Anfragen bei den Meldeämtern, um eine Identität zu verifizieren.

Nicht immer geht es für Marina Brinkmann nur darum, Lebende zu finden: Regelmäßig werden in Bosnien Massengräber des dortigen Konflikts in den 1990ern gefunden - und ebenso regelmäßig erhält das DRK DNA-Proben mit der Bitte um Abgleich mit Menschen, die in Deutschland leben.