Jahrzehntelang wusste Heidi Büttner nicht, was für ein Schicksal ihrem im Zweiten Weltkrieg vermissten Vater zuteil wurde. Die Unsicherheit habe sie ein Leben lang begleitet und bewegt, erzählt die 81-Jährige heute: "Das Wort 'vermisst' geisterte in meinem Kopf umher."

Seit knapp einem Jahr hat sie Klarheit. Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) fand im vergangenen Jahr heraus, dass Büttners Vater am 18. September 1945 als Kriegsgefangener in einem Spezialhospital südöstlich von Moskau an Unterernährung gestorben ist.

Bis heute ebben solche Anfragen wie die von Heidi Büttner nicht ab. Der Suchdienst soll daher noch länger nach Vermissten des Zweiten Weltkriegs forschen als bislang geplant.

10.000 Anfragen allein im Jahr 2019

Allein 2019 habe es mehr als 10.000 Anfragen gegeben, sagte DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt in Berlin. Für dieses Jahr rechnet sie nach eigenen Worten mit rund 11.000 Anfragen.

Die Suche nach Verschollenen des Zweiten Weltkriegs sollte eigentlich Ende 2023 auslaufen, so vereinbarte es die Hilfsorganisation 2017 mit dem damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Damals waren beide Seiten davon ausgegangen, dass die Anfragen stark zurückgehen würden.

Im 75. Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs räumt das Innenministerium ein, dass man sich dabei geirrt hat. Es gebe allgemein sogar eine vermehrte Nachfrage nach Themen des vergangenen Jahrhunderts, sagte Staatssekretär Markus Kerber. Rund elf Millionen Euro bekommt der DRK-Suchdienst jährlich vom Ministerium.

25 der aktuell knapp 100 Mitarbeiter sind den Angaben zufolge für Schicksalsklärungen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg zuständig. Der Suchdienst hilft darüber hinaus auch Migranten und Flüchtlingen, die aktuell auf der Suche nach vermissten Angehörigen sind.

Erfolgsquote liegt heute immer noch bei 20 Prozent

Hasselfeldt sagte, auch die Generation der Enkel von im Zweiten Weltkrieg Vermissten interessiere sich sehr. Diskussionen in den Familien würden heute vielleicht sogar intensiver geführt als in der ersten Generation nach dem Krieg, sagte sie. Die Erfolgsquote bei Suchanfragen liegt nach ihren Angaben heute immer noch bei 20 Prozent.

Viele Angehörige, darunter auch Heidi Büttner, stellten zweimal oder noch häufiger Anträge, um das Schicksal von Angehörigen aufzuklären. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bekam der DRK-Suchdienst Zugang zu den Karteien der ehemaligen Sowjetunion. Viele Kriegsgefangenenschicksale konnten erst dadurch für die Angehörigen geklärt werden.

Namenskartei mit Angaben zu mehr als 20 Millionen Menschen, die als vermisst galten

Parallel zur Verlängerung des Suchdienstes bewilligte das Bundesinnenministerium auch die Förderung einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Suche nach Vermissten im Zweiten Weltkrieg.

Das Institut für Zeitgeschichte München will nach Angaben von Direktor Magnus Brechtken anhand von Beispiel-Biografien die Vermissten-Suche im Kontext der politischen und gesellschaftlichen Situation aufarbeiten. Es gehe auch darum, zu betrachten, wie durchlässig der Eiserne Vorhang habe sein können, wenn es um Familien ging, sagte Brechtken.

Die digitale Namenskartei des DRK beinhaltet nach dessen Angaben Informationen zu mehr als 20 Millionen Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg als vermisst galten. Unmittelbar nach dem Krieg, zwischen 1945 und 1950, gingen beim Suchdienst 14 Millionen Anfragen ein. 8,8 Millionen klärende Auskünfte konnten bereits damals erteilt werden.