Missbrauch in der Sauna, Gruppenzwang im Unterricht: Gegen den ehemaligen Pfarrer von Berchtesgaden sind konkrete Vorwürfe sexualisierter Gewalt aus seiner Amtszeit laut geworden. Ein früherer Kirchenvorsteher der evangelischen Gemeinde, Jürgen Bannasch, berichtet im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) von sexuellem Missbrauch an Vorschulkindern, der sich in der Sauna im Pfarrhauskeller abgespielt habe.
Der frühere Pfarrer wurde 2016 und 2024 wegen des Besitzes von kinderpornografischen Bildern verurteilt, erst zur Bewährung und schließlich zu einer Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Die Ortsgemeinde hatte erst im Juli 2024 von den Strafverfahren Kenntnis bekommen. Zum 1. September 2024 hat die bayerische Landeskirche den Theologen aus dem Pfarrdienstverhältnis entlassen.
Betroffene waren zum Teil Schulkameraden der eigenen Kinder
Auf epd-Anfrage erläutert Bannasch, dass der Pfarrer, der von 1990 bis 2005 in Berchtesgaden tätig war, Buben im Vorschul- und Grundschulalter im Rahmen eines nachmittäglichen Spieltreffs in die Sauna eingeladen und dort vor ihnen onaniert habe. Dieser Vorfall habe sich 1998 oder 1999 ereignet. Er kenne sieben Betroffene persönlich, die solche gravierenden Erlebnisse mit dem Pfarrer gehabt hätten. So habe der Pfarrer Kinder auch über der Kleidung im Genitalbereich angefasst, getarnt als "Versehen" oder Spiel. Die Betroffenen seien zum Teil Schulkameraden seiner eigenen Kinder gewesen. Bannasch war von 2000 bis 2010 Mitglied des Kirchenvorstands. Von den Vorfällen sexualisierter Gewalt habe er ab 2015 erfahren. Erstmals öffentlich gemacht hat er diese Anfang Januar in einem Leserbrief im "Berchtesgadener Anzeiger", den er gemeinsam mit sechs Betroffenen formuliert habe.
Schon während der Amtszeit des Pfarrers sei jedoch bekannt gewesen, dass in seinem Religionsunterricht das Spiel "Schinkenklopfen" übliche Praxis war. Dabei hätten sich Kinder bäuchlings über den Schoß des Pfarrers legen müssen und hätten dann Schläge auf den Po bekommen - vom Pfarrer selbst, aber auch von anderen Kindern, die er dazu ermunterte.
"Wer nicht mitgemacht hat, bekam Gruppendruck", sagt Jürgen Bannasch. Ein Kind habe zur Strafe vor der Kirche in Bischofswiesen Schneeschippen müssen. Den ehemaligen Kirchenvorsteher treiben diese Geschichten um, die er zum Teil aktiv erfragt, zum anderen Teil angetragen bekommen hat. Er ordne im Rückblick manche Dinge anders ein. "Es ist die Aufgabe der damals Aktiven, die eigene Rolle zu hinterfragen und sich um Aufklärung zu bemühen - im Sinne der Opfer", sagt er.
Regionalbischof reagiert betroffen
Auf die konkreten Vorwürfe reagiert der Münchner Regionalbischof Thomas Prieto Peral auf epd-Anfrage mit Betroffenheit. Der geschilderte Vorfall in der Sauna sei keine Grenzüberschreitung, sondern Missbrauch. Er empfinde beim Gedanken daran "einfach nur Ekel". "Es tut mir unendlich leid, dass Kinder so etwas ein Leben lang als Erinnerung mit sich herumschleppen müssen", sagt der Theologe, der im Rahmen der Aufarbeitung Betroffene gebeten hat, sich bei der kirchlichen "Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt" zu melden.
Dass jemand von den Betroffenen diesen Schritt tut, bezweifelt Jürgen Bannasch. "Viele empfinden diesen Aufruf als Augenwischerei, als Versuch der Kirche, die Deutungshoheit zu behalten", sagt der 66-Jährige. Er selbst habe jedoch nach seinem Leserbrief rund 25 Zuschriften bekommen. Eine habe ihm deutlich gemacht, dass Betroffene das, "was wir vielleicht neutral als unangemessene Handlung oder Übergriffigkeit bezeichnen", viel drastischer empfanden: Der Absender habe es als "an ihm hinterlassene Handschrift" bezeichnet.
Wer wusste wann von den Taten?
Die Frage, wer zu welchem Zeitpunkt von welchen Taten wusste oder sie zumindest ahnte, beschäftigt Menschen der Ortsgemeinde derweil genauso wie die Kirchenleitung. In der Frage der aktuellen Vorwürfe herrscht dabei ein Dissens. Jürgen Bannasch sagt, er habe dem Regionalbischof im Oktober 2024 mitgeteilt, dass es konkrete Vorfälle in der Amtszeit des Pfarrers gegeben habe. Der Regionalbischof wiederum kann sich nur an einen allgemeinen Hinweis erinnern. Bei dem Termin im Oktober sei er von vielen Menschen umringt gewesen, manche hätten den verurteilten Pfarrer auch verteidigt, in diese Situation hinein habe er den Hinweis gehört, "dass da vielleicht noch mehr ist".
Anscheinend habe er nicht schnell genug realisiert, "wie tiefgehend das ist", sagt Prieto Peral. Er nehme die konkreten Schilderungen sehr ernst. Allerdings sei er in seinem Handeln auf zwei Quellen angewiesen: die Akten und die Betroffenen. In den Akten seien bis 2016 keine Hinweise auf sexualisierte Gewalt durch den Pfarrer zu finden. Deshalb ermutige und bitte er Betroffene, sich mit ihren Erinnerungen bei der Fachstelle zu melden. Er wolle alles tun, damit sexualisierte Gewalt in der Kirche nicht mehr vorkomme. "Mir tut es unendlich leid, dass diese Dinge passiert sind", sagt Prieto Peral.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden