Alexander Lisovskiy ist über den sonnigen Oktoberstart erfreut. Hält das freundliche Wetter, will der gärtnerische Leiter des Bildungsprojekts Weltacker Nürnberg zur Monatsmitte seine Erdnüsse ernten. Das dürften in der mittelfränkischen Metropole die einzigen Hülsenfrüchte sein, die nicht von Hobbygärtnern angebaut werden.

Doch dem Weltacker-Projekt geht es nicht um exotische Ernten. Vielmehr thematisiert es weltweite Ernährungssicherheit und nachhaltige Landwirtschaft und will die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele der UN (Sustainable Development Goals = SDG) erlebnisnah vermitteln. "Wir zeigen, wie die Kulturpflanzen aussehen, die wir konsumieren", sagt Lisovskiy.

Der Weltacker ist in diesem Frühjahr erstmals bepflanzt worden. Auf einem ehemaligen Parkplatz innerhalb des Stadtrings sind rund 50 Kulturen angesät worden. Die Anbaufläche von 2.000 Quadratmeter, etwa ein knappes Drittel eines Fußballfeldes, spielt eine zentrale Rolle. Rechnerisch steht jedem Einzelnen der 7,5 Milliarden Menschen von der weltweit verfügbaren Agrarfläche genau diese Größe zu. Damit könnte sich jeder Erdenbürger selbst versorgen, "wenn es gerecht in der Welt zugeht", stellt der Gärtner fest.

Auf dem Nürnberger Weltacker, einem von acht in Deutschland und von über 20 weltweit, baute Lisovskiy in seinem ersten Jahr Gemüse und Getreide an, ebenso wie Früchte, Baumwolle oder Tabak. Beim Verteilen seiner Anbauflächen orientiert sich das Weltacker-Projekt an den globalen Anbauflächen. "Wir zeigen eine Miniatur der Welt."

Soja etwa hat in Nürnberg einen stattlichen Anteil. Und Gärtner Lisovskiy erklärt den Schulklassen, die das Projekt besuchen: "Global werden je nach Erhebung auf einem Drittel bis der Hälfte der Ackerfläche Soja und andere Kulturen für Tierfutter angebaut." Nur so lassen sich die Fleischberge auf deutschen Tellern günstig erzeugen.

Weltacker-Projektleiterin Elna Tietböhl ist mit dem Auftakt der Bildungsarbeit zufrieden. Denn die Schüler waren nicht nur erstaunt, wie viel Tierfutter auf Äckern angebaut wird. "Sie hatten auch keine Vorstellung, wie viel Arbeit im Ackeranbau steckt." Im zweiten Weltackerjahr 2024 sollen darum Schüler den gesamten Prozess von der Weizenaussaat im März über Pflege und Ernte bis zu Verarbeitung und Brotbacken begleiten.

Tietböhl will auch verstärkt die SDG-Ziele thematisieren. Bei der Baumwolle kann das Thema etwa der hohe Wasserverbrauch sein: sauberes Wasser ist das SDG-Ziel Nr. 6. "Baumwolle ist auch mit sozialer Gerechtigkeit verknüpft", unterstreicht die Bildungsreferentin für nachhaltige Entwicklung mit Blick auf das achte SDG-Ziel, der menschenwürdigen Arbeit. Denn der Siegeszug der Baumwolle bis hin zur heutigen Fast Fashion der Textilindustrie sei unweigerlich mit Sklaverei verknüpft. Sonst hätten vielleicht Leinen oder Naturhanf das Rennen als Hauptrohstoff gemacht und würden heute die Modegeschäfte dominieren, meint Tietböhl. "Der Rattenschwanz ist groß", pflichtet ihr Lisovskiy bei.

Aus seiner Sicht könnte die Weltacker-Größe ausreichen, damit sich alle Menschen auf der Welt selbst ernähren können, dem zweiten SDG-Ziel: kein Hunger. Denn auf einer kleinen Fläche mit gemischten Kulturen ist nach Lisovskiys Erfahrung der Ertrag pro Quadratmeter deutlich höher als in der Agrarindustrie. "Die kleinteilige, händische Landwirtschaft ist produktiver."

Aber auch hier gibt es ein Missverhältnis. Laut der UN-Welternährungsorganisation sind fast drei Viertel der Landwirte Kleinbauern mit weniger als 10.000 Quadratmeter Ackerland. Damit liegt ihr Anteil an der globalen Landwirtschaftsfläche gerade mal bei acht Prozent.

Ernte auf dem Acker

Die globalen Ackerflächen sind durch Monokulturen, Versiegelung oder ausgelaugte Böden bedroht. "Nach wie vor dominiert in der industriellen Landwirtschaft der alleinige Blick auf chemische und physikalische Aspekte", sagt Lisovskiy. Ein gesunder Boden brauche aber keinen Kunstdünger, sondern alle Elemente des chemischen Periodensystems. Er benötige Kleinstlebewesen, also Bakterien und Mikroben, ohne die der Ackerboden gar nicht fruchtbar wäre. Außerdem gehören in das biologische Gesamtsystem allerlei Würmer, Insekten, Vögel und Mäuse. Selbst dem Hasen, der sich im Sommer über den Weltacker-Kohl genüsslich hergemacht hat, begegnet der Gärtner positiv.

In seiner Ausbildung zum Gemüsegärtner habe er selbst wenig über gesunden Boden erfahren, erinnert er sich. "Ich wusste nur so viel, dass ich bei den Kulturen wenig Schaden anrichten konnte." Hier hinken Lehrpläne und Forschung hinterher. Beim Bodenaufbau der entsiegelten Fläche für den Weltacker hat er Unterstützung vom Nürnberger Tiergarten bei der Analyse von Boden und Kompost bekommen. Sein neues Wissen will er in der zweiten Saison des Nürnberger Weltackers ausbauen und weitergeben.

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