Ein handgeschriebener Brief, ein gemeinsamer Gottesdienst-Besuch und eine weiße Nelke: So sollten Kinder nach Vorstellung der US-Amerikanerin Anna Jarvis (1864-1948), Initiatorin des Muttertags, ihre Mütter ehren. Die dicht gefüllten Blütenblätter der schlichten und preisgünstigen Blume erinnerten sie an die innige Liebe einer Mutter. In Deutschland wird der Muttertag seit 100 Jahren begangen, immer am zweiten Sonntag im Mai. In diesem Jahr ist es der 14. Mai.

Muttertag: Vorläufer hieß Mütterfreundschaftstag

Mit einem ersten offiziellen Muttertagsgottesdienst in der Andrews Methodist Episcopal Church in Grafton (West Virginia) wollte Anna Jarvis am 10. Mai 1908 an ihre Mutter Ann Reeves Jarvis erinnern. Diese hatte bereits 1865 einen "Mütterfreundschaftstag" ins Leben gerufen: Dabei ging es ihr um Austausch, Vernetzung und Bewusstseinsbildung von Müttern. Seit 1914 ist der Muttertag offiziell in den USA ein Feiertag.

Zur Bekanntheit trugen dann vor allem die Werbekampagnen von Blumenhändlern bei. Auch in Deutschland sorgten sie dafür, dass der Muttertag seit 1923 auch hierzulande begangen wird.

Jarvis wehrte sich nachdrücklich gegen die zunehmende Kommerzialisierung. Sie kritisierte etwa die vor-formulierten Muttertagskarten des Grußkarten-Unternehmens Hallmark.

"Wie faul muss man sein, dass man es nicht einmal an einem Tag im Jahr schafft, der eigenen Mutter zu sagen, was man denkt", schrieb sie an den Konzern.

Spöttisch reagierte sie auch auf Pralinen und andere zuckersüße Präsente. Es sei furchtbar, kritisierte sie: "Du bringt deiner Mutter eine Schachtel und dann isst du das meiste selbst." Auch mit den Blumenhändlern legte sie sich an. Später forderte sie sogar - vergeblich - die Abschaffung des Ehrentags. Der weltweite Boom des Muttertags war nicht mehr aufzuhalten.

Nazis machten Muttertag zum nationalen Feiertag

In Deutschland machten die Nationalsozialisten 1934 den Muttertag zum nationalen Feiertag, weil er zum nationalsozialistischen Ideal der "arischen" und kinderreichen Mutter passte: Kinder gebären galt als Aufgabe der Frauen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges haftete diese Mütter-Ideologie aus der NS-Zeit dem Muttertag zunächst an. In der neu gegründeten Bundesrepublik erhielt der Gedenktag 1949 den Status eines nicht-offiziellen Feiertages. In der DDR gab es offiziell keinen Muttertag mehr, stattdessen wurde der Internationale Frauentag am 8. März begangen.

Heute werden noch immer besonders gerne Blumen verschenkt: Am Muttertag 2022 gaben die Deutschen rund 100 Millionen Euro für Schnittblumen aus und weitere 50 Millionen Euro für Topfpflanzen, laut Zahlen der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI). Auch in Kindergärten wird vor dem Muttertag fleißig gebastelt und gemalt - mit vielen Herzchen und noch mehr Liebe. In Grundschulen verfassen Mädchen und Jungen kleine Gedichte.

Die Gefühle vieler Mütter sind dabei zwiespältig. Einerseits empfinden etliche den Muttertag als altmodisch, andererseits freuen sie sich über die Aufmerksamkeiten der Kinder.

Der Muttertag "feiere" die Aufopferung der einzelnen Mutter, kritisiert die Elternschaftsforscherin Désirée Waterstradt von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. "Ganz selbstverständlich" werde von Müttern unbezahlte Leistung in der Familie verlangt, wodurch Kinder für Frauen zum größten Armutsrisiko würden. Sie spricht sich dafür aus, den Muttertag wieder zu einem "Mütterfreundschaftstag" für Austausch, Vernetzung und Bewusstseinsbildung von Müttern zu machen.

Der Blick in die Vergangenheit zeige, dass Frauen ihre Kinder nie alleine erzogen hätten, erläutert sie.

"Wir sollten darüber nachdenken, warum wir dies heute mit einer so selbstverständlichen wie radikalen Mütterfeindlichkeit als "Fremdbetreuung", "weggeben", "abgeben" oder "Rabenmutter" sprachlich aburteilen", sagte die Wissenschaftlerin.

Ein moderner "Elterntag" statt eines Muttertags könnte die Erziehung als gemeinsame Aufgabe von Eltern und erweiterter Familie würdigen.

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