"Das Verbot, Menschen zu klonen, gilt nicht mehr", urteilt der Embryologe Michele Boiani. Denn eine Wissenschaftlerin verkündete jüngst eine Weltsensation: Es sei ihr gelungen, einen menschlichen Embryo ohne Eizelle zu erzeugen. Magdalena Zernicka-Goetz, Professorin für Säugetierentwicklung und Stammzellbiologie an der Universität Cambridge, berichtete dies auf einer Konferenz Mitte Juni in Boston. Nur zwei Tage später meldete sich eine israelische Forschergruppe zu Wort: Auch sie hätten einen sogenannten synthetischen Embryo erschaffen. Weitere Forscher aus China und den USA zogen mit Vorab-Veröffentlichungen nach.

Es spielt eigentlich keine Rolle mehr, dass solche Vorab-Veröffentlichung noch nicht von Experten begutachtet sind - angesichts der Fülle an Meldungen ist klar: Asexuell erzeugte menschliche Embryonen haben das Licht der Welt erblickt. Es bedarf nicht mehr der Keimzellen, konkret Eizellen und Spermien. Vereinfacht gesagt, versetzt man bei dem neuen Verfahren Körperzellen in frühste Entwicklungsstadien zurück. Diese reprogrammierten Stammzellen ähneln daher befruchteten Eizellen.

Werden Menschen bald geklont?

Die synthetischen Embryonen werfen nicht nur für Wissenschaftler eine Fülle von drängenden Fragen auf. Nach Ansicht des Embryologen Boiani, der am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster forscht, könnte man mit ihnen das deutsche Embryonenschutzgesetz umgehen. Denn dieses bezieht sich nur auf Gebilde, die mithilfe einer Eizelle entstehen.

Für den Juristen Nils Hoppe, Professor für Ethik und Recht in den Lebenswissenschaften in Hannover, ist die Konsequenz: "Das Embryonenschutzgesetz ist hoffnungslos veraltet."

Da es ein Strafgesetz sei, lasse es keinen Spielraum. Doch gerade neue wissenschaftliche Erkenntnisse, wie sie nun am Horizont auftauchen, erfordern anpassungsfähige Regelungen. Diese existieren zum Beispiel in Großbritannien. Dort betrachtet eine Kommission auch Einzelfälle und reagiert auf den wissenschaftlichen Fortschritt, "ohne dass die gesellschaftlichen Leitplanken aus dem Blick geraten".

Viele Wissenschaftler halten es für notwendig, offen und frühzeitig über den Embryonenschutz zu diskutieren, unter anderem über die Frage: "Wollen wir kinderlosen Paaren helfen?", wie Hoppe sagt. Denn schon im Normalfall nisten sich rund 30 Prozent aller fünf bis sechs Tage alten Embryonen nicht in die Gebärmutter ein. "Warum scheitern sie?", fragt Boiani.

Hilfe für kinderlose Paare

Die Gesellschaft müsse überlegen: In welchem Umfang soll oder darf die Wissenschaft menschliche Embryonen erforschen? Für Ethiker Hoppe ist die heutige Gesetzeslage wenig würdevoll. Sie bestimme etwa, dass überzählige Embryonen aus der Kinderwunschbehandlung als Krankenhaus-Abfall entsorgt werden müssten.

Die deutschen Gesetze verbieten es, menschliches Leben als Mittel zum Zweck zu erzeugen, etwa für die Forschung. Doch wie will man die synthetischen Embryonen einordnen? Ihre "Mutter", Zernicka-Goetz, spricht von Embryonenmodellen, die acht Tage alten "echten" Embryonen sehr ähnlich seien. Haben sie das Potenzial, sich mehr als ein paar Tage zu entwickeln? Noch weiß man sehr wenig. Gerade darin sieht der Forscher Boiani eine Gefahr: "Es wäre bei dem aktuellen Kenntnisstand unverantwortlich, solche Embryonen auf Frauen zu übertragen."

Er fragt sich, ob die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Forscher mit synthetischen Embryonen gewinnen, tatsächlich die Bedingungen bei Menschen widerspiegeln. Gleichwohl ist er von der bahnbrechenden Entwicklung begeistert, die neue Türen in der Forschung aufstoße.

Auch Hoppe hebt den wissenschaftlichen Fortschritt hervor. Die Embryomodelle könnten etwa Tierversuche reduzieren. "Wir können nicht der innovativen Wissenschaft dankbar sein und sie gleichzeitig von vorneherein verbieten." Ohne sie hätte es weit mehr Corona-Tote gegeben. Auch Krebs ist heute sehr viel besser zu behandeln.

Deshalb plädiert Hoppe dafür, die aktuelle Forschung genau zu betrachten und zu begleiten - und frühzeitig rote Linien zu bedenken. Heute bereits verbieten sich die Fachgesellschaften weltweit als Selbstverpflichtung, solche Embryonen in eine Gebärmutter einzusetzen. Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft kann auf diesem Wege noch kein Mensch geboren werden. Ebenso sei die Furcht, dass geklonte Menschen zur Welt kommen, "derzeit Science-Fiction", sagt Boiani. Dennoch entstehen bei den synthetischen Embryonen identische Kopien der Ausgangszellen - nichts anderes als Klone.

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