Die Liebe und ich, wir haben unsere eigene Geschichte. Wahrscheinlich so, wie jeder Mensch seine und ihre eigene Geschichte mit der Liebe hat.
Ich bin ihr, glaube ich, sehr oft begegnet in meinem Leben. Als kleines Kind in den strahlenden Augen meiner Eltern. Etwas später dann in den festen Umarmungen meiner Freundinnen und Freunde. Und wieder etwas später hat die Liebe meine Hand genommen, auf dem Rücksitz eines roten kleinen Autos, neben mir mein erster Freund. Ich hatte sie gefunden, die Liebe und hab sie seitdem nicht mehr loslassen wollen.
Die Menschen, mit denen ich sie geteilt habe, habe ich trotzdem immer wieder loslassen müssen – und manchmal auch wollen. Weil wir uns verändert haben, oder etwas uns verändert hat. Aus einer Liebe sind zwei Töchter entstanden und eine Ehe. Ich habe in einer kleinen Kirche versprochen, zu lieben. Für immer. Ich habe Ja gesagt und es auch so gemeint. Mit klopfendem Herzen, Angst, aber auch der Zuversicht, dass Gottes Ja meines mittragen kann, wenn es schwach zu werden droht:
"Ja, mit Gottes Hilfe."
Sein Segen zu unserem Wollen. Ich glaube, es liegt nicht daran, dass Gottes Segen zu schwach war, dass diese Ehe nicht gehalten hat. Es lag an mir. An meinem Wollen, an meinen Gefühlen. Gottes Segen trägt uns da, wo wir gehen. Wenn wir stehen bleiben, bleibt auch er stehen. Spürt unsere Zweifel, die Machtlosigkeit und unsere Angst. Gott segnet kein Müssen – aber ein Sehnen, Fürchten, Hoffen – und ein Loslassen.
Kann man die Liebe um Verzeihung bitten?
Lange hat sich all das wie Scheitern angefühlt. An meinen Erwartungen, aber vor Allem an dem Versprechen, das ich gegeben habe. Ich bin gescheitert – obwohl ich doch wusste, dass eine Ehe kein Kinderspiel ist. Hätte ich es nicht besser wissen müssen? Als Scheidungskind? Als reflektierte Frau? Stattdessen habe ich meinen Mann verletzt und mich selbst. Und irgendwie auch die Liebe. Ich, die ich doch immer die Liebe gesucht habe, hab sie irgendwie schlecht behandelt. Menschen kann man um Verzeihung bitten – geht das bei der Liebe auch?
Mit den Jahren habe ich ein bisschen besser verstanden, warum in der Bibel steht "Gott ist die Liebe": Sie trägt uns nichts nach, sie ist langmütig und freundlich, frei nach dem 1. Korintherbrief. Ich habe keine Schulden bei ihr, ich brauche bei der Liebe nichts wiedergutzumachen. Die Menschen, die ich verletzt habe, vergeben mir vielleicht irgendwann, vielleicht auch nie. Die Liebe aber hat mir nichts zu vergeben. Sie ist freigiebig, sie rechnet nichts auf. Sie zählt nicht die Versuche, nicht die Fehlschläge und zieht keine Konsequenzen. Heute liebe ich deshalb wieder. Und werde geliebt.
Es ist heute nichts Besonders, geschieden zu sein, auch nicht als Pfarrerin. Trotzdem bin ich nicht die Einzige, die sich manchmal immer noch dafür schämt. Vielleicht einfach dafür, dass ein so öffentlicher Lebensentwurf wie die Ehe, die Familie, nicht funktioniert hat. Wobei – wann funktioniert eine Ehe? Wenn sie ein Leben lang hält? Oder wenn sie die Menschen, die in ihr leben, in Vertrauen, Freiheit und Geborgenheit hält? In der Kirche spricht man selten über sogenannte gescheiterte Ehen, unter Pfarrer*innen schon gar nicht. Es passiert, man wechselt die Gemeinde, fängt woanders neu an. Über die Gründe spricht man erst recht nicht, zu privat. Verständlich, schließlich will man keine intimen Beziehungsfragen in die Öffentlichkeit zerren.
Ehe ist der beste Ort, um zu scheitern
Trotzdem bleibt ein schaler Beigeschmack: So viele heute geschieden werden, so wenig reden Menschen darüber, wie verdammt anstrengend, herausfordernd und kräftezehrend eine langjährige Beziehung ist. Das Ringen um den Raum für eigene Bedürfnisse. Das Aushandeln von Grenzen, Lebensentscheidungen und gemeinsamen Prioritäten. Wenn man Kinder hat, kommen kurze Nächte, kaum Zeit für echte Gespräche und emotionale Dauerbelastung dazu. Und natürlich: Küsse, einander tragen, halten, trösten, lachen, weinen, zusammen schwimmen, untergehen, auftauchen – das ist alles wunderschön! Und gleichzeitig eine der härtesten Aufgaben, denen wir uns im Leben stellen können: sich einander zumuten.
Ein Gottesdienst, der die Entscheidung für so einen Lebensweg feiert – da müsste es eigentlich richtig knallen. Da sollte Platz für die Angst sein, für die Hoffnung, für all die Pläne – und für das Scheitern. Denn inzwischen glaube ich, die Ehe ist eigentlich der beste Ort, um zu scheitern.
Um zu merken, wie falsch man lag mit dem eigenen Selbstbild. Um langsam und immer wieder neu zu verstehen, wie man miteinander tickt. Um zu weinen, zu schreien. Um loszulassen. Um Schwäche zu zeigen. Um sich einzugestehen, wofür man lebt und liebt. Um zusammen die Welt anders zu sehen als alleine. In einer Ehe kann man scheitern, immer wieder. In einer Ehe kann man lieben lernen. Den anderen und sich selbst.
Ich glaube immer noch daran, dass manche Beziehungen ein Leben lang halten können. Ich mag den Gedanken, dass Menschen ihrer Liebe das zutrauen. Dass sie der Liebe vertrauen und Gott dieses Vertrauen und diese Zuversicht entgegen halten. Und Gott, der die Liebe ist und gleichzeitig alles Menschliche kennt, segnet uns, die wir lieben.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden