Draußen nieselt es, das berühmte Allgäuer Bergpanorama ist wolkenverhangen. Merle Härtig und Manuel Ziegler kümmert das nicht: Sie kommen gerade von der Massage und machen es sich in den Sesseln der neuen Lobby bequem. Es ist der zweite Tag einer Ferienfreizeit in der Bildungs- und Erholungsstätte Langau, an der die beiden nun schon zum vierten Mal teilnehmen. "Wir erholen uns hier und haben mal wieder Zeit für uns", sagt Merle.

Sohn Janne ist derweil mit seinem Betreuer und den neun anderen behinderten Kindern der Freizeit unterwegs. Der Achtjährige ist schwer mehrfachbehindert und braucht rund um die Uhr Unterstützung. Zwischen Frühstück und Abendessen findet das "Angehörigen-Programm" statt. "Wir besuchen die Feuerwehr Steingaden und fahren bei unserem Mottotag "Mittelalter" auf den Buchenberg", erzählt Florian Heller, der seit Jahren ehrenamtlich in der Langau mitmacht. Die vier Geschwisterkinder ohne Behinderung, die dieses Jahr dabei sind, tummeln sich solange mit den Betreuern des "Geki-Programms" im Reptilienhaus Oberammergau, im Schwimmbad oder auf der Sommerrodelbahn.

Peter Barbian
Diakon Peter Barbian leitet die Erholungsstätte Langau.

Bundesweit einmaliges Konzept

Eltern mit behinderten Kindern sind im Alltag oft am Limit. Erholung? Schön wär´s: Es gibt kaum Urlaubsorte, die auf die Bedürfnisse und den Geldbeutel von Familien in speziellen Lebenslagen Rücksicht nehmen. Die evangelische Bildungs- und Erholungsstätte Langau ist ein solcher Ort: 61 Euro Vollpension, alles barrierefrei, mit einem bundesweit einzigartigen Betreuungskonzept. Nach einer Generalsanierung für acht Millionen Euro ist das Haus fit für die Zukunft.

Am 20. Juni wird die Langau in ihrem neuen Gewand offiziell wieder eingeweiht: Alle Zimmer haben Pflegebetten und rollstuhlgerechte Bäder; in jedem Gebäudeteil findet sich ein geräumiges Pflegebad; Aufzüge erschließen die immer noch charmant verwinkelten Etagen des ehemaligen Bauernhofs; schwere Türen öffnen sich automatisch. Auf Wunsch kann in jedem der üblicherweise fernsehfreien Zimmer ein Fernseher angeschlossen werden. Das gilt den Soldatenfreizeiten, die seit 35 Jahren in der Langau stattfinden. "Es gibt viele Heimkehrer, die traumatisiert sind und ohne Geräuschpegel im Zimmer nicht einschlafen können, weil sonst ihr Kopfkino losgeht", sagt Barbian.

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Auch für Demenzkranke geeignet

Durch den Umbau erschließt sich die Langau auch eine neue erholungsbedürftige Zielgruppe: Menschen mit demenzkranken Angehörigen finden hier künftig einen Gebäudetrakt, der mittels raffinierter Technik zum beschützenden Bereich umgerüstet wurde. "Die Angehörigen bekommen einen Anruf auf ihr Handy, sobald der Demenzkranke den Bereich verlässt", erklärt Peter Barbian. Begegnung ist dem Diakon wichtig - deshalb sind auch Schulklassen sind in der Langau willkommen. "Drei Tage reichen, um bei den Kindern einen Veränderungsprozess in Gang zu setzen", sagt Barbian. Dafür brauche es kein pädagogisches Programm. Das gemeinsame Essen im hellen Speisesaal reiche völlig aus.

Die Familienfreizeiten sind jedoch der Markenkern der Langau. Eltern können sorgenfreie Zeit zu zweit verbringen, während ihre behinderten Kinder mit 1:1-Betreuung durch geschulte Ehrenamtliche Ausflüge machen und die nicht-behinderten Geschwisterkinder ein eigenes Programm wahrnehmen können. "Unser Konzept gibt es kein zweites Mal in Deutschland", sagt Klaus Barbian, Leiter der Langau, mit einer Mischung aus Stolz, Staunen und Bedauern.

Birgit Endres und Florian Heller
Birgit Endres und Florian Heller arbeiten seit Jahren ehrenamtlich für die Familienfreizeiten in der Langau.

Kooperationspartner dringend gesucht

Denn der Bedarf ist riesig: 2016 hatten sich doppelt so viele Familien für die Sommerfreizeiten angemeldet, wie Plätze vorhanden waren. Das Team musste losen – mit dramatischen Folgen. Manche Eltern hätten verzweifelte Mails geschrieben: "Das ist der einzige Urlaub im Jahr, auf den ich hinlebe – und jetzt kann ich nicht kommen", erinnert sich der Diakon an eine Zuschrift. Sein dringender Wunsch ist es deshalb, einen Kooperationspartner zu finden, der das erfolgreiche Konzept der Langau anderswo in Deutschland aufbaut.

Denn ein barrierefreies Haus allein verschafft erschöpften Angehörigen noch keine Erholung. Das Geheimrezept der 1965 vom Bund Christlicher Pfadfinderinnen (BCP) gegründeten Langau sind die 250 Ehrenamtlichen, die aus ganz Deutschland und sogar aus Ungarn und der Slowakei als Freizeit-Assistenten anreisen. "Wir profitieren von der langen Pfadfindertradition, die per se mit Ehrenamt verbunden ist", glaubt Klaus Barbian. Sie habe die Haltung der Langau geprägt: Inklusion, also die Teilhabe aller Menschen, wurde hier schon gelebt, als alle anderen noch nicht mal das Wort "Integration" buchstabieren konnten. "Außerdem sind die Erlebnisse mit den Menschen bei uns sehr besonders, vielleicht gerade weil die Arbeit nicht einfach ist – das begeistert viele", meint der Diakon.

Zum Beispiel Birgit Endres. Die 45-Jährige kam 2005 das erste Mal in die Langau – ihre damals fünfjährige Tochter Johanna hat Down-Syndrom. "Das war mein schönster Urlaub, obwohl es fünf Tage lang geregnet hat", erinnert sich die Bilanzbuchhalterin lachend. Sie habe es damals genossen, andere Eltern mit dem gleichen Schicksal zu treffen und zu sehen: "Die Menschen haben ihre Lebensfreude nicht verloren." Seit 2012 ist Endres selbst im Leitungsteam der Ferienfreizeiten. "Es macht mir Spaß und man trifft Eltern wieder, mit denen man sich schon angefreundet hat", sagt sie. Und das Beste: Johanna ist auch dabei – dieses Jahr erstmals als ehrenamtliche Mitarbeiterin im Assistenten-Team.

Hintergrund: Die Langau

Der Bund christlicher Pfadfinderinnen (BCP) kaufte 1965 die den ehemaligen Viehhof des Prämonstratenklosters Steingaden, der seit der Säkularisierung 1803 im Besitz des Freistaats Bayern war. Die Pfadfinderinnen veranstalteten Zeltlager, an denen von Beginn an junge Frauen mit körperlichen Behinderungen teilnahmen. Bis 1969 baute der BCP die Langau nach damaligen Maßstäben barrierefrei um.

Der Name von Hedwig Döbereiner ist untrennbar mit der Langau verbunden. Die damalige Bundesmeisterin des BCP kaufte den Hof im Namen des Vereins. "Es war ein Wagnis. Nur weil wir auf Gottes Hilfe vertraut haben, konnte es gelingen", sagte sie einmal. 25 Jahre leitete Döbereiner die Langau und etablierte die Integration von Menschen mit Behinderung im Konzept. Zum 80. Geburtstag der Gründerin am 27. Mai 2004 errichtete die Langau die Hedwig-Döbereiner-Stiftung. Die heute 93-Jährige lebt in einem Münchner Seniorenstift.

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