Seit Februar 2023 arbeitete der FDP-Politiker Joachim Stamp relativ geräuschlos im Auftrag der Bundesregierung als Sonderbevollmächtigter für Migrationsabkommen. Seine Aufgabenbeschreibung: Gestaltung praxistauglicher und partnerschaftlicher Vereinbarungen mit wesentlichen Herkunftsländern unter Beachtung menschenrechtlicher Standards.

Man kann ihm nur Glück wünschen.

Im Dezember 2021 begannen SPD, Grüne und FDP ihre Arbeit mit dem Versprechen "mehr Fortschritt wagen". Sie bekannten sich im Koalitionsvertrag zu einer vielfältigen Gesellschaft und den Chancen und Potenzialen von Einwanderung. Im Bereich der Flüchtlings- und Asylpolitik wollten sie ihrer humanitären Verantwortung gerecht werden, Diskurs sollte wieder stärker von Menschenrechten geprägt sein.

Migrationspolitik im Wandel

Dann kam der Angriffskrieg Russlands mit über einer Million ukrainischen Flüchtlingen allein in Deutschland. Die sonstigen Flüchtlingszahlen stiegen bereits von Januar bis August dieses Jahres auf über 200.000. Parallel dazu verzeichnen rechte Parteien aktuell nahezu europaweit Stimmenzuwächse und Umfragehochs.

Entsprechend betont in der Migrationspolitik inzwischen auch die Ampelregierung neben Humanität vor allem die Aspekte Ordnung und Kontrolle. Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzler Scholz wollen die Migrationszahlen begrenzen. Bund und Länder einigten sich auf Leistungskürzungen für Asylsuchende. Finanzminister Lindner möchte die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduzieren.

Und im Zuge der Verhandlungen zu einer Reform des "Gemeinsamen Europäischen Asylsystems" (GEAS) mussten in Bayern Altlandesbischof Heinrich Bedford-Strohm und Diakoniepräsidentin Sabine Weingärtner der Politik gar schon ins Gewissen reden. Beide mahnen, dass trotz aller Herausforderungen auch in Zukunft sichergestellt bleiben muss, dass alle Geflüchteten in der gesamten EU einen Zugang zu fairen und rechtsstaatlichen Asylverfahren haben. (Pressemitteilung der ELKB vom 28.07.2023)

Da kommt es zur rechten Zeit, dass jetzt auch der Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen von sich reden macht. Lange führte er seine Verhandlungen mit potenziellen Partnerländern diskret. Im Oktober aber wurden sechs Länder bekannt, mit denen Joachim Stamp verhandelt. Eines davon ist Kenia.

Warum Kenia - mit gerade mal 272 Asylanträgen in Deutschland von Januar bis August dieses Jahres? Vielleicht, weil wir von Kenia lernen können?

Kenia ist eines der größten Aufnahmeländer Afrikas für Flüchtlinge. Sie kommen aus Äthiopien, Burundi und Somalia. Aus dem Sudan, dem Südsudan und dem Kongo. Die UNO beziffert ihre Zahl auf rund 650.000. Allein im Lager Kakuma im trockenen Nordwesten Kenias leben über 300.000 Menschen. In vergangenen Jahren betrachtete Kenias Regierung sie als Konfliktherd für Krisen mit der lokalen Bevölkerung und als Gefahr für den Tourismus. Kakuma sollte geschlossen werden. Aber wohin mit 300.000 Menschen in der Steppe? Seit Ende 2021 hat Kenia nun ein Flüchtlingsgesetz, das der kenianische Autor Bob Koigi auf der Plattform der Organisation FairPlanet sogar ein Modell für die Welt nennt. Flüchtlinge haben freien Zugang zu Arbeit und Bildung und können sich in Gesellschaft und Wirtschaft integrieren. Und sie tun es.

Wir können viel lernen von Kenia

Oder geht es um Kenias Fachkräfte? Wer Kenia bereist und mit Kenianerinnen und Kenianern redet und zusammenarbeitet, weiß, wie sie für ihr Land brennen und in Bildung, Wirtschaft und Kultur neue Maßstäbe setzen. Kenia ist einer der globalen Wachstumsmärkte für erneuerbare Energien.

Es gibt in Kenia also in der Tat viel zu lernen und zu gewinnen für Joachim Stamp und die Migrationspolitik unserer Regierung. Aber nicht nur für sie.

Es ist Zeit, dass wir alle uns wieder an unsere Werte erinnern. Und an die Chancen und Potentiale von Migration.

Bei allen Herausforderungen: Deutschlands Wohlstand verdanken wir auch der Arbeit und den Steuern der Menschen, die als Fremde bei uns eine neue Heimat fanden. Und die in unseren Kindergärten, Schulen, Kommunen und Betrieben dabei unterstützt wurden. Das schafft kein Sonderbevollmächtigter allein. Das geht uns alle an.

Joachim Stamp
Joachim Stamp, Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen

Der Migrationsbeauftragte Joachim Stamp

Der FDP-Politiker Joachim Stamp ist für die Migration nach Deutschland zuständig und soll dafür sorgen, dass Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber besser funktionieren. Im Bundesinnenministerium soll der 52-Jährige Migrationsabkommen aushandeln - mit Ländern, aus denen viele Menschen nach Deutschland kommen. Die sollen sich verpflichten, abgelehnte Asylbewerber aufzunehmen. Im Gegenzug könnte Deutschland mehr Visa anbieten oder Qualifizierungskurse vor Ort - um die legale Einwanderung zu erleichtern. Zuletzt hat die Bundesregierung so ein Abkommen mit Indien geschlossen.

Schwerpunkte des Koalitionsvertrags von 2021

Die FDP schreibt auf ihrer Homepage die liberalen Schwerpunkte des Koalitionsvertrags unter dem Stichwort: "Mehr Fortschritt wagen". Diese Schwerpunkte sind wie folgt:

  1. Wir wollen entlasten und damit neuen Schwung entfachen.
  2. Wir wollen für solide Finanzen Sorge tragen.
  3. Wir wollen durch beste Bildung Aufstiegschancen schaffen.
  4. Wir wollen Potenziale entfesseln und Raum für Innovationen schaffen.
  5. Wir wollen Migration besser ordnen.
  6. Wir wollen das Klima effizient und marktwirtschaftlich schützen.
  7. Wir wollen unseren Staat modernisieren und einen digitalen Aufbruch schaffen.
  8. Wir wollen die Freiheit stärken und Bürgerrechte schützen.
  9. Wir wollen globale Herausforderungen annehmen.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden