Acht Jahre lang hat Jennifer Rolfs (Name geändert) ihren Mann gepflegt. Der war 2010 kurz nach seinem 55. Geburtstag an Demenz erkrankt - doch dank einer Sozialstation sowie dem Würzburger Verein "Hilfe für alte Menschen im Alltag" (Halma) war es Rolfs gelungen, ihn bis zu seinem Tod im letzten Jahr zu Hause zu versorgen.
Ein Netz aus Sozialstationen, Vereinen, Fachstellen und ambulanten Angeboten helfe Angehörigen wie Jennifer Rolfs bei dieser Herausforderung, weiß Gudrun Reiß vom Fachverband Evangelische Altenhilfe der Diakonie Bayern: "Inzwischen gibt es 110 Fachstellen für pflegende Angehörige in Bayern", sagte die Expertin im Gespräch mit dem Sonntagsblatt.
Angehörige brauchen Fachkenntnisse für Pflege
Für gute Pflege braucht es fachliche Kenntnisse, die Angehörigen zunächst fehlen. Doch es gibt die Möglichkeit, sich schulen zu lassen. Das tat auch Jennifer Rolfs kurz nach der Diagnosestellung: "Beim Verein 'Halma' habe ich gelernt, mit dem Phänomen Demenz umzugehen." Über eine Sozialstation gelang es der Lehrerin, eine Alltagsbegleiterin für ihren Mann zu organisieren: "Die ging öfter mit ihm spazieren, was für mich eine große Entlastung war." Später, als die Körperpflege schwieriger wurde, kam die Sozialstation zweimal in der Woche zum Duschen.
Mitansehen zu müssen, wie die Persönlichkeit eines Menschen nach und nach zerfällt, ist psychisch extrem belastend. Für Jennifer Rolfs war es wichtig, sich in einer Gesprächsgruppe mit anderen Angehörigen demenziell veränderter Menschen austauschen zu können.
"In dieser Gruppe geben sich Betroffene gegenseitig Tipps",
erzählt sie. Einmal während der acht Pflegejahre musste sie sich einer akuten Operation unterziehen: "Mein Mann war in dieser Zeit für zwei Wochen in der Kurzzeitpflege." Als die Alltagsbegleitung nicht mehr ausreichte, nahm er eine Tagespflegeeinrichtung in Anspruch.
Unterstützung muss rund um die Uhr sein
Angehörige, die pflegen, hocken oft selbst bei herrlichstem Wetter zu Hause, denn Unterstützung ist rund um die Uhr nötig. Kinobesuche fallen flach. Kaum einmal finden sie Zeit, sich mit Freunden zu treffen. Ehepartner oder Kinder, die pflegen, benötigen deshalb psychosoziale Unterstützung, sagt Gudrun Reiß vom Fachverband. Dafür seien die 110 Fachstellen für pflegende Angehörige da. Sehr wichtig seien daneben die Pflegestützpunkte. "Hier wird geschaut, welche rechtlichen Ansprüche eine pflegebedürftige Person abhängig von ihrem Pflegegrad hat", so die Referentin für ambulante Altenhilfe.
Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, haben die Tendenz, sich zurückzuziehen. Doch sie können neue Kontakte knüpfen, sagt Reiß: "Zum Beispiel durch die Teilnahme an einer Betreuungsgruppe." Diese Gruppen gab es bis 2017 lediglich für Menschen mit einer Demenz: "Inzwischen können alle daran teilnehmen." Wird über häusliche Pflege nachgedacht, sollten Angehörige außerdem nach freiwilligen Helferkreisen in der Nähe suchen. In Würzburg gibt es sogar "Kulturbegleiter" für Menschen mit Demenz.
Personalmangel und fehlendes Geld
Unterfinanzierung und Personalmangel machen der Pflege immer stärker zu schaffen.
"Die ambulante Versorgung aufrechtzuerhalten ist für die Dienste im Augenblick schwierig",
bestätigt Gudrun Reiß. Zwar könne die direkte Pflege meist noch sichergestellt werden; Anfragen nach Hilfe im Haushalt werden jedoch oft abgelehnt. Der Entlastungsbetrag von 125 Euro im Monat ermöglicht aber, eine Haushaltshilfe zu beschäftigen. Bedingung für die Förderung: die Person, die helfen möchte, muss eine achtstündige Schulung durchlaufen haben.
Die wichtigste Stütze für die Pflege daheim bleiben die Pflegekräfte, die sich bei jedem Wetter aufmachen, um ihre Patienten zu duschen oder um Medikamente zu verabreichen. "Obwohl die personelle Situation schwierig ist, versuchen wir, niemanden abzuweisen", erklärt Michaela Monno-Linde von der Sozialstation der Caritas im Landkreis Main-Spessart. Sie selbst rät bei neu aufgetretener Pflegebedürftigkeit als ersten Schritt dazu, einen Hausnotruf zu installieren:
"Außerdem sollten möglichst rasch Stolperfallen in der Wohnung entfernt werden."
Sehr hilfreich ist nach ihrer Einschätzung die Tagespflege, die aber leider noch zu selten wahrgenommen werde - weil viele Seniorinnen und Senioren dieses Angebot als Einstieg in die stationäre Pflege interpretierten. Das liegt laut Monno-Linde daran, dass solche Angebote oft in Pflegeheimen stattfinden. Aufgrund ihrer Vorbehalte ließen viele Pflegebedürftige den für die Tagespflege bestimmten Betrag deshalb verfallen.
Über Angebote vor Ort informieren
Die einhellige Meinung der Expertinnen ist: Wer in den eigenen vier Wänden alt werden möchte, sollte sich über die vielfältigen Angebote vor Ort informieren, bevor das Problem "Pflege" akut wird. Das tun noch immer zu wenige Menschen - die Mutter oder der Vater scheinen ja noch fit. Doch ein Schlaganfall oder ein Sturz verändere die Situation über Nacht. Dann sollte man zumindest wissen, wo sich der nächste Pflegestützpunkt befindet.