Am 20. Dezember 2022 wurde Irmgard F. wegen Beihilfe zum Massenmord verurteilt. Der Fall der sogenannten KZ-Sekretärin ging durch die Medien. Auch im Ausland wurde darüber berichtet, etwa in der "New York Times". Gegen das Urteil legte die Angeklagte Revision ein. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun die Revision der Angeklagten verworfen. Damit ist die Verurteilung von Irmgard F. wegen Beihilfe zum Massenmord rechtskräftig.

Sie hat als Schreibkraft die Morde im Konzentrationslager Stutthof unterstützt und Beihilfe geleistet. Dass ihre zivile Verwaltungstätigkeit in einem Lager, das kein reines Vernichtungslager war, als Beihilfehandlung ausreicht, ist neu und war höchstrichterlich so zuvor noch nie entschieden worden. Insofern ist der Fall auch deshalb beachtlich, da Irmgard F. nicht Mitglied der SS war. Das unterscheidet sie von Oskar Gröning, der als "Buchhalter von Auschwitz" 2015 verurteilt worden war.

Entscheidung der Richter erwartbar und notwendig

Die Entscheidung der Karlsruher Richter war erwartbar und notwendig. Auch wenn diese späte Verurteilung den Betroffenen wenig hilft. Wem sie aber auf jeden Fall hilft, ist uns: den Deutschen, die sich "Nie wieder!" geschworen haben.

Aktuell steht zu befürchten, dass rechte Kräfte bei den Wahlen in Ostdeutschland erstarken. Gerade jetzt hat diese Entscheidung deshalb besondere Symbolkraft. Sie zeigt unwiderleglich, wie weit die deutsche Schuldigkeit tatsächlich reicht und gereicht hat.

Das ist wichtig, weil sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit das kollektive Vergessen breitgemacht hat. Aber auch, weil aktuell von Rechten immer wieder versucht wird, diese Schuld zu relativieren. So sprach der AfD-Angehörige Alexander Gauland von einem "Vogelschiss in der Geschichte". Oder man denke an den Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke, der schamlos immer wieder NS-Rhetorik verwendet. Zuletzt etwa die SA-Parole "Alles für Deutschland".

Unsere Schuld lässt sich nicht relativieren

Zwar behauptete er vor Gericht, er wisse nicht, dass es sich um einen verbotenen und von den Nationalsozialisten genutzten Schlachtruf handele. Diese angebliche Unkenntnis macht jedoch nichts besser. Unsere Schuld lässt sich nicht relativieren.

Mehr noch: Die Verurteilung von Irmgard F. zeigt, dass sie größer ist, als dies bisher zum Ausdruck kam. Dabei sorgt eine rechtskräftige Verurteilung vor allem dafür, dass niemand behaupten kann, es hätte diese Schuld und ihre Schuldigen nicht gegeben.

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Florian Meier am Fr, 23.08.2024 - 08:24 Link

Ich bezweifle, dass sich die gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit dadurch lösen, dass hochbetagte Kleinnazis, verurteilt werden, während ihre Vorgesetzten meist straflos davonkamen. Es mag im Sinne des Rechts sein - Mord verjährt nicht -, aber daran wird die Welt nicht genesen. Auch das Abwälzen von individueller Verantwortung durch Kollektivierung "unsere Schuld" ist in diesem Zusammenhang eher wenig hilfreich. Wenn alles eh unabänderlich ewig ist, so lohnt es sich ja auch gar nicht mehr sich damit zu befassen? Wen will man mit dieser ritualisierten Rhetorik eigentlich erreichen? Ist es nicht eher eine Selbstbeschwörung alles richtig zu machen? Die heutige Zeit mit ihren neuen technischen Möglichkeiten zur Massenkontrolle, -manipulation und ihrer Tendenz zum Rigorismus und ja auch wieder auflebendem Neofaschismus und internationaler Blockbildung ist tatsächlich beängstigend. Umso wichtiger wären Visionen und konkrete Ideen diesen Zustand zu überwinden, denen, die sich für die Wahrheit hinter den Parolen interessieren Mut zu machen und Ihnen Freiraum zum lernen und erfahren zu geben. Mit der Politik der letzten Jahrzehnte sind wir genau da gelandet wo wir jetzt sind also war vielleicht nicht alles falsch, aber bei weitem sicher nicht alles gut. "Und vergib uns unsere Schuld". Meint das eine abstrakte irgendwie herumwabernde Kollektivschuld oder ist damit nicht eher meine konkrete persönliche Schuld durch konkrete Fehlhandlungen im Bewußtsein allgemeiner menschlicher Begrenztheit gemeint? Ist eine Beichte überhaupt ehrlich, wenn sie nicht den Wunsch zur Veränderung der Verhältnisse und des persönlichen Handelns inkludiert und nur auf eine unabänderliche Vergangenheit Bezug nimmt ? Altnazis zu verurteilen mag gerecht und angemessen sein, Gedenken wichtig, aber es entledigt uns nicht von der Verantwortung für das hier und jetzt, wo Präsidenten Soldatenkirchen wieder einweihen und eine Stimmung von wehmütigem Verlust und Restauration vermeintlicher alter Größe ohne Lust auf die Zukunft die Köpfe vergiftet.