Die Bundesbildungsministerin, Karin Prien (CDU), hat sich offen für eine sogenannte Migrationsquote in Grundschulklassen gezeigt. Was sie in der Sendung "Politikergrillen" von Welt-TV als "denkbares Modell" bezeichnet, hat tatsächlich das Potenzial, tief in das Grundverständnis von Schule, Integration und gesellschaftlichem Zusammenhalt einzugreifen – allerdings nicht unbedingt zum Guten.

1. Der Vorschlag in der Sache: eine Scheinlösung

Prien nimmt Bezug auf ein vermeintliches dänisches Vorbild, ohne dessen Realität differenziert darzustellen. Denn: In Dänemark existiert keine gesetzlich verankerte Obergrenze für Kinder mit Migrationshintergrund an Schulen. Es handelt sich vielmehr um eine politische Zielmarke der regierenden Sozialdemokratie, deren Umsetzung umstritten ist und in der Praxis in die Zuständigkeit der Kommunen fällt.

Eine solche Quote ließe sich rein praktisch kaum umsetzen, ohne massive Eingriffe in das Recht auf wohnortnahe Beschulung und ohne die betroffenen Kinder de facto in weit entfernte Schulen zu verfrachten.

Die Vorstellung, man könne in deutschen Städten wie Hamburg, Frankfurt oder Köln eine Quote von 30 oder 40 Prozent einführen, ignoriert schlicht die Realität: In vielen Großstadtvierteln liegt der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund bereits heute weit über diesen Werten – teilweise bei über 60 Prozent, wie der Bildungsforscher Aladin El-Mafaalani zurecht anmerkt.

2. Der Begriff "Migrationshintergrund" – eine irreführende Kategorie

Noch gravierender als die praktische Undurchführbarkeit ist jedoch das ideologische Fundament, auf dem der Vorschlag beruht. Der Begriff "Migrationshintergrund" ist ein soziologisches Konstrukt – kein pädagogischer Indikator. Er sagt weder etwas über Sprachkenntnisse, noch über sozialen Status oder Förderbedarf aus.

Vielmehr wird durch seine Verwendung eine implizite Grenze gezogen zwischen einem "Normalzustand" (deutsch, weiß, mehrheitsgesellschaftlich sozialisiert) und einem "Anderen" (defizitär, bildungsfern, förderbedürftig), das zur Belastung wird, sobald es "zu viele" werden. 

Diese Denkweise ist nicht nur fachlich falsch, sondern gefährlich. Denn sie knüpft an ein fast biologistisches Kulturverständnis an. Diesem zufolge sind Fähigkeiten wie Sprache oder Denkweisen genetisch bedingt, sozusagen angeboren. Daraus wird dann abgeleitet, dass Integration kein dynamischer, gegenseitiger Prozess ist, sondern Assimilation an eine einheitliche kulturelle Norm.

Und damit sind wir beim Kern des Problems: Wer Kinder nach Herkunft, Religion oder Vornamen in Gruppen sortiert und deren Verteilung als Problem beschreibt, organisiert keine Integration. Er betreibt Stigmatisierung und soziale Segregation.

3. Rechte Rhetorik mit bürgerlichem Anstrich

Dass der Vorschlag im Tonfall gemäßigt daherkommt, macht ihn nicht harmlos. Im Gegenteil: Gerade die scheinbare Sachlichkeit der Debatte – man "schaue sich Modelle an", "lerne aus Erfahrungen" – macht sie besonders anschlussfähig für völkische Narrative.

Denn in der AfD und Teilen der Neuen Rechten wird schon lange behauptet, der "Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund" sei ein Problem – eine "Belastung", die Schulen, Lehrkräfte und die Gesellschaft überfordere.

Indem nun auch CDU-Politikerinnen wie Prien solche Vorstellungen übernehmen, verschieben sie das Sagbare. Die eigentliche Botschaft lautet: Es gibt zu viele "Andere", und sie gefährden unsere Ordnung.

Das ist keine sachliche Bildungsdebatte mehr – das ist identitätspolitische Rhetorik, die Ängste schürt und spaltet.

4. Die wahren Baustellen im Bildungssystem

Was in der Diskussion auffällt: Statt über tatsächliche bildungspolitische Herausforderungen zu sprechen, wird ein vermeintlich kulturelles Problem konstruiert.

Dabei liegen die Probleme ganz offen zutage:

  • Ein dramatischer Lehrkräftemangel, besonders an Grund- und Förderschulen

  • Überlastung, Burnout und hohe Krankenstände im Kollegium

  • Marode Schulgebäude, fehlende Ausstattung, überfüllte Klassenzimmer

  • Viel zu geringe Ressourcen für Schulsozialarbeit und Inklusion

  • Ein System, das soziale Ungleichheit eher verstärkt als ausgleicht

  • Eine schleppende Digitalisierung

  • Und: ein chronisch unterfinanziertes Bildungswesen, das zu oft auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen wird.

Keine dieser Herausforderungen hängt ursächlich mit dem "Migrationshintergrund" der Schüler*innen zusammen. Wer diese Kinder – die häufig ohnehin strukturell benachteiligt sind – nun zu Problemträgern erklärt, verschiebt die Verantwortung: Weg von der Politik, hin zu den Betroffenen.

5. Fazit: Integration geht anders

Wer es wirklich ernst meint mit Bildungsqualität, muss die Schulen dort stärken, wo sie es am nötigsten brauchen – unabhängig davon, wie viele Kinder dort eine Einwanderungsgeschichte haben.

Statt Kindern mit "falschem" Nachnamen implizit die Schuld für Bildungsmissstände zu geben, braucht es eine solidarische Bildungspolitik, die auf Teilhabe, Gerechtigkeit und Ressourcenverteilung setzt.

Kinder sind keine demografischen Risikofaktoren. Sie sind Menschen mit Potenzial – und einem Recht auf diskriminierungsfreie Bildung. Wer das vergisst, handelt nicht nur unpädagogisch. Sondern zutiefst destruktiv und demokratiegefährdend.