Die Brandmauer ist gefallen. Aber nicht erst in der vergangenen Woche, als CDU und FDP auf Initiative von Unionsfraktionschef Friedrich Merz ihr neuestes Anti-Migrationsgesetz mithilfe der in Teilen offen rechtsradikalen AfD durch den Bundestag peitschen wollten.
Zur Erinnerung: Heute vor fünf Jahren, am 5. Februar 2020, ließ sich der FDP-Landesvorsitzende Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten von Thüringen wählen. Ein Experiment, das die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel schnell beendete.
Doch schon damals zeigte sich, was jetzt offen zutage tritt. Es gibt keine Brandmauer, weder zur AfD noch zum rechten Rand. Die Parteien der sogenannten Mitte sind im Zweifel auch bereit, mit faschistischen Kräften zusammenzuarbeiten. Das wusste man zwar aus den Geschichtsbüchern. Aber inzwischen sollte uns allen klar sein, dass sich daran nicht viel geändert hat. Leider.
Das wahre Problem: Nicht Merz, die AfD oder die Brandmauer
Das eigentliche Problem an der ganzen Sache ist aber gar nicht die nun offene Zusammenarbeit von Union, FDP und BSW mit der AfD. Die Abstimmungen der vergangenen Woche - die eine erfolgreich, die andere nicht - mögen symbolischen Wert haben.
Aber die Empörung und Aufregung darüber lenkt von dem ab, was seit Jahren passiert: Von Union über FDP und SPD bis hin zu den Grünen lassen sich alle Parteien der Mitte von der AfD in eine Migrationsdebatte treiben, die jedes Jahr, ja jeden Monat noch radikaler, noch menschenverachtender, noch hysterischer wird.
Und wie heißt es so schön im Grundgesetz: Parteien haben die Aufgabe, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Was auch de facto passiert: Wenn alle Politiker*innen pausenlos nur noch über Migration sprechen und diese dabei ständig mit Kriminalität und Bedrohung assoziieren, dann muss man sich nicht wundern, wenn inzwischen zwei Drittel der Deutschen glauben, das wäre das größte Problem.
Deutschland hat viele reale Probleme
Unterstützt und verstärkt wird diese unsinnige Debatte von vielen Medien, die leider vergessen haben, dass Journalismus nicht heißt, Emotionen zu schüren und immer extremere Positionen durch ständige Wiederholung salonfähig zu machen, sondern: zu sagen, was ist.
Und was ist, ist, dass Deutschland allerlei drängende Probleme hat: Eine marode Infrastruktur. Einen sich verschärfenden Pflegenotstand. Einen nicht belastbaren öffentlichen Nahverkehr. Eine in weiten Teilen nicht funktionierende Kinderbetreuung. Steigende Mieten und Preise. Wachsende soziale Unterschiede. Wachsende psychische Belastungen und Vereinsamung von immer mehr Menschen. Von der Klimakatastrophe ganz zu schweigen.
Doch anstatt diese real existierenden Probleme anzugehen und Lösungsvorschläge zu präsentieren, kommen aus Politik und Medien nur Vorschläge, Deutschland noch härter abzuschotten, noch mehr Menschen abzuschieben und für diejenigen, die man nicht los wird, für noch schlechtere Lebensbedingungen zu sorgen.
Egal, ob AfD gestärkt oder geschwächt wird
Alles in dem fatalen Irrglauben, Deutschland würde dadurch sicherer. Das Gegenteil ist der Fall. Und womöglich noch schlimmer: Die so geschürten falschen Erwartungen der Wähler*innen werden zwangsläufig enttäuscht werden – was unweigerlich in die nächste Eskalationsstufe münden wird.
Das Problem ist also weder die AfD an sich noch Merz' Bereitschaft, mit ihr zusammenzuarbeiten. Das Problem ist vielmehr, dass inzwischen fast alle Parteien Vorschläge machen, deren Kerngedanken sich auf nicht mehr als die Stammtischparole "Ausländer raus" reduzieren lassen.
Ob die AfD durch diese Vereinnahmung letztlich gestärkt oder geschwächt wird, ist dabei zweitrangig. Das Ergebnis zählt: Entscheidend ist, dass migrationsfeindliche Politikansätze nun als alternativlos gelten. Die Folgen für Deutschland und viele Menschen, die hier leben, sind noch nicht vollständig absehbar. Sicher ist nur: Es wird nicht besser.