Hamideh Mohagheghi ist eine aus dem Iran stammende Juristin, islamische Theologin und Religionswissenschaftlerin – und zugleich Tochter, Schwester, Verwandte von Menschen im Iran. Im Interview spricht sie mit uns über ihre Ängste während des Krieges mit Israel, die Perspektive der Zivilbevölkerung und die Rolle westlicher Politik.

"Was, wenn Teheran wirklich flächendeckend bombardiert wird? Was passiert dann mit meiner Familie?"

Wie haben Sie die zwölf Tage Krieg zwischen Israel und dem Iran von Deutschland aus erlebt?

Hamideh Mohagheghi: Zum Glück konnte ich fast durchgehend Kontakt zu meiner Familie halten – nur kurzzeitig fiel das Internet aus, sodass wir keine Verbindung hatten. Aber ich wusste meistens, wie es ihnen geht und wo sie sich aufhalten. Diese Ungewissheit, was noch passieren könnte, in welche Richtung sich der Krieg entwickelt – das war sehr beängstigend. Ich habe sehr mitgelitten, mir ständig Sorgen gemacht: Was, wenn Teheran wirklich flächendeckend bombardiert wird? Was passiert dann mit meiner Familie? Es war eine Zeit großer Angst. Der Kontakt hat es ein wenig erträglicher gemacht – aber insgesamt war es furchtbar.

Waren Sie erleichtert, als der Waffenstillstand kam?

Ja – und nein. Politische Entscheidungen sind derzeit so unberechenbar, dass selbst ein verkündeter Waffenstillstand keine Sicherheit bietet. Man kann sich kaum darauf verlassen, dass sich beide Seiten daran halten – oder dass die verantwortlichen Politiker umsichtig handeln. Diese politisch instabile Weltlage macht uns große Sorgen. Einige aus meiner Familie waren währenddessen außerhalb Teherans  Als ich gestern mit ihnen sprach, sagten sie, sie wollten zurück nach Teheran – aber immer mit dem Gedanken im Hinterkopf: Bleibt es wirklich ruhig? Dieses Gefühl der Unsicherheit bleibt.

Man kann sich aktuell kaum noch auf politische Entscheidungen verlassen. Der Angriff war letztlich eine Entscheidung einzelner Personen, die sie eigenmächtig gefällt und ausgeführt haben. Das macht mir – und meiner Familie im Iran – große Angst. Sie leben ja nicht nur mit innerem Druck und Repression, sondern müssen jetzt auch Angst vor äußeren Angriffen haben – davor, dass ihnen buchstäblich Bomben auf den Kopf fallen.

Sie haben es angedeutet: Die Menschen stehen unter Druck – von zwei Seiten.

Ja, genau. Was mich besonders bewegt hat, ist, wie gefasst viele Menschen dort trotzdem mit der Situation umgehen. Sie sagen: "Wir sind Kummer gewohnt, irgendwie wird es weitergehen." Dieser familiäre Zusammenhalt und ein tiefes Gottvertrauen helfen ihnen, durchzuhalten. Familien, die sich sonst kaum sehen, haben sich zusammengeschlossen. Wer ein Haus außerhalb der Stadt hatte, ist mit allen dorthin gefahren – und dort ging das Leben mehr oder weniger weiter. Ich bin dankbar, dass sie diesen Halt haben.

Aber das war sicher nicht allen möglich.

Natürlich nicht. Es waren vor allem diejenigen, denen es vergleichsweise gut geht. So ist es leider immer: Wer Ressourcen hat, kann sich besser schützen. Doch es gibt auch viele Ältere, Kranke, Bedürftige – und davon nicht wenige. Sie sind in Teheran geblieben, haben die Flugzeuge über sich fliegen sehen, Bombeneinschläge nur wenige Meter entfernt erlebt. Und sie saßen einfach da, in der Hoffnung: Hoffentlich geht es gut. Ich finde es bemerkenswert, wie sie das aushalten. Manchmal kritisiere ich diese fast fatalistische Haltung – aber in solchen Momenten ist sie vielleicht notwendig. "Wenn Gott will, dass wir leben, dann bleiben wir am Leben – keine Bombe wird uns treffen." Das gibt Halt.

Wie ist die Stimmung jetzt – nach dem Waffenstillstand?

Die Menschen sagen zunächst: Zum Glück ist es vorbei – und versuchen, so normal wie möglich weiterzuleben. Ich habe gestern mit meiner Familie telefoniert. Sie waren in den Bergen rund um Teheran, haben ein Picknick gemacht, sind dann wieder nach Hause gefahren. Sie versuchen, den Alltag zu leben – in der Hoffnung, dass es ruhig bleibt.

Was ihnen Sorgen macht, ist die Frage, wie das im Iran weiter geht. Der Eindruck, dass keine Macht der Welt uns besiegen kann, wird natürlich jetzt stärker propagiert. 

"Es wurden nicht nur Atomanlagen getroffen, sondern auch Orte des zivilen Lebens"

Im Westen hatten viele gehofft, der Krieg könnte der Regierung schaden. Aber das ist offenbar nicht der Fall?

Nein. Veränderung kann nur von innen kommen – nicht durch äußeren Druck. Ich kenne Menschen, die noch vor wenigen Wochen fest davon überzeugt waren, dass eine Hilfe von außen ihnen helfen kann. Jetzt sagen sie klar: "Auf keinen Fall – wir wollen keine Einmischung!" Das ist die große Bitte an die Weltgemeinschaft: Finger weg! Lasst die Menschen in Ruhe!

Ich kenne viele der Orte, die jetzt zerstört wurden – liebevoll aufgebaute Parkanlagen, Plätze für Familien, um etwas Ruhe zu finden. Und die sind nun kaputt. Es wurden nicht nur Atomanlagen getroffen, sondern auch Orte des zivilen Lebens.

Die Menschen sagen: Wir wollen ein bisschen Frieden, ein bisschen Freiheit, einfach in Ruhe leben. Mehr nicht. Viele sagen auch: Es ist uns egal, wer regiert – wir wollen einfach leben. Die Sanktionen haben das Leben ohnehin schon sehr schwer gemacht. Ich bin in einer informellen Gruppe von Frauen, die Bedürftige unterstützt – ich weiß, wie schlimm die Not ist. Medikamente sind oft unbezahlbar. Die Menschen wünschen sich ein normales Leben. Keine politische Revolution – einfach nur menschenwürdig leben.

Fühlen sich die Menschen auch instrumentalisiert? Als Spielball benutzt?

Ja, ganz klar, von allen Seiten. Die Hoffnung auf Hilfe von außen ist verblasst. Nun denken viele, dass der Westen nur an eigenen Vorteile interessiert ist – nicht an den Menschen.  Diese Erkenntnis ist tief enttäuschend – und gefährlich.  

Auch das Thema Atomwaffen ist heikel. Immer wieder hieß es, der Iran wolle keine Atombombe. Ob das ehrlich ist oder nicht – darüber kann man streiten. Aber welcher Politiker ist heute noch wirklich ehrlich? Und dann sagt unser Außenminister einfach: "Ich glaube dem Iran nicht." Ohne Begründung. Ich frage mich: Wo ist der Beweis?

Also glauben Sie nicht, dass der Iran nach der Bombe strebt?

Ich kann das natürlich nicht mit einem klaren Nein beantworten. Ich weiß nicht, was sie wirklich vorhaben. Aber ich bezweifle stark, dass sie unter den aktuellen Bedingungen überhaupt in der Lage wären, eine Atombombe zu bauen. Sie betonen auch, dass sie aus moralischen Gründen nicht an einer Atombombe arbeiten wollen.

Wichtig ist: Wenn internationale Politik auf Dialog setzt, braucht es ein Mindestmaß an Vertrauen. Und da frage ich mich: Warum ist das Vertrauen gegenüber dem Iran so nachhaltig zerstört? Die politische Rhetorik im Iran ist nicht hilfreich, eine wirkliche Vertrauensbasis zu schaffen – dennoch sind das Worte, die über Jahrzehnte Parolen bleiben.   

Wenn jeder, der sich "bedroht" fühlt, losschlagen darf, öffnet das Türen, die wir eigentlich längst geschlossen haben sollten. Verdächtigungen genügen heute, um Sanktionen zu verhängen, Moscheen zu schließen, Bomben zu werfen. Das macht aus Staaten Feindbilder. Früher war es der Irak, dann Syrien, Afghanistan – jetzt ist der Iran an der Reihe. Und das macht mir Angst.

Ich stehe auf der Seite der Menschen, die viel Leid zu tragen haben, durch innere und äußere Sanktionen. Ich frage mich: Warum werden bestimmte Länder zu Projektionsflächen gemacht, zu Feindbildern, mit denen man alles machen darf?

"Ich habe schon lange kein Vertrauen mehr in unsere Politik. Und dass dann gesagt wird, ein Angriff sei 'völkerrechtlich vielleicht nicht ganz sauber, aber notwendig' – das ist beschämend"

Wie beurteilen Sie die Reaktion der deutschen Politik?

Ehrlich gesagt: Ich habe schon lange kein Vertrauen mehr in unsere Politik. Und dass dann gesagt wird, ein Angriff sei "völkerrechtlich vielleicht nicht ganz sauber, aber notwendig" – das ist beschämend. Warum war er notwendig? Diese Frage wird nicht beantwortet. Stattdessen spricht man von "Kollateralschäden", die nicht zu vermeiden sind, wenn man "Freiheit und Demokratie" erzwingen will. Und immer heißt es: "Es wird geprüft," wenn zivile Einrichtung, Krankenhäuser bombardiert werden. Ich habe noch kein Ergebnis irgendeiner "Prüfung" gesehen, vielleicht weil gar nicht geprüft wird und die Mächtigen tun dürfen, was sie wollen.

Was gibt Ihnen noch Hoffnung?

Meine Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Ich hoffe, dass sie von Anfang an lernen, was Verantwortung bedeutet: für die Umwelt, für Schwächere, für eine gerechtere Gesellschaft. Ich bin keine, die auf Demos geht – aber ich bewundere alle, die es tun. Und ich hoffe, dass ihre Stimmen nicht verstummen. Ob das als Hoffnung reicht? Ich weiß es nicht. Aber ich glaube nicht daran, dass wir alles auf Gott schieben sollen und uns damit zufriedengeben, dass Gott alles richten wird. Diesen Schlamassel haben wir Menschen gemacht – also müssen wir auch selbst dafür einstehen.

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