"Rising Lion" nennt Israel seinen Krieg gegen den Iran, den es mit dem Angriff am 13. Juni begonnen hat.
Das Motto spielt auf den Nachbarschaftskonflikt Israels mit den Moabitern an, zu dem es im 4.Mose 23,24 heißt:
"Siehe, das Volk wird aufstehen wie ein junger Löwe und wird sich erheben wie ein Löwe; es wird sich nicht legen, bis es den Raub verzehrt und das Blut der Erschlagenen trinkt."
So grausam durch die Jahrtausende die Konflikte mit Israels Nachbarn waren, so gut war das Verhältnis zum entfernter liegenden Persien: von König Kyros II., der das Volk Israel 538 v.Chr. aus der babylonischen Gefangenschaft befreite bis hin zur Zeit der Schahs im 20. Jahrhundert, in der der Iran den Staat Israel anerkannte.
Juden im Iran
Von den islamisch geprägten Ländern ist der schiitische Iran bis heute das Land, in dem die meisten Juden leben:
Nach einer Schätzung im Jahr 2017 lebten dort ca. 10.000 Juden, die – garantiert durch die Verfassung – von einem jüdischen Abgeordneten im Parlament vertreten werden. 24 aktive Synagogen, vor allem in Teheran und Isfahan, fünf koschere Metzgereien und ein jüdisches Krankenhaus stehen ihnen zur Verfügung.
Auch in dieser islamischen Theokratie zahlen sie nicht die im islamischen Recht verankerte Kopfsteuer (jiziya), die religiöse Minderheiten als "Schutzbürger" (dhimmi) früher zahlen mussten und jüdische Kinder können am Samstag vom Schulunterricht befreit werden, wenn sie den Sabbat einhalten wollen.
Synagogen müssen nicht wie in Europa und vielen anderen Ländern bewacht werden. Von antisemitischen Übergriffen aus der Bevölkerung ist nichts bekannt.
Iran und Israel
Betrachteten das Persien des Schahs und Israel die arabischen Staaten noch als gemeinsame Gegner, so änderte sich nach der sog. "Islamischen Revolution" im Jahr 1979 das Verhältnis zum Staat Israel drastisch. Doch selbst der Revolutionsführer Ayatollah Khomeini differenzierte zwischen "unseren Juden" und den "gottlosen Zionisten".
Solidarisierten sich schon in den 1950er Jahren schiitische Geistliche – konträr zur Politik des Schahs – mit den Palästinensern und setzten sich für ihre Rechte ein, so erhielt dieses Thema in den 1980er Jahren Priorität.
Mit dem Krieg Israels im Libanon 1982, der letztlich mit Hilfe des Irans zur Gründung der libanesisch-schiitischen Hizbullah führte, wurde eine Dynamik in Gang gesetzt, die bis heute das Tagesgeschehen beherrscht: jenseits theologischer Differenzen zwischen Schiiten und Sunniten entwickelte der Iran ein Netz von Stellvertretern in der islamischen Welt, um mit ihnen gegen den Staat Israel zu kämpfen: dieses Modell jedoch scheint an ein Ende gekommen zu sein: die Hamas ist durch den Gazakrieg massiv geschwächt, das mit dem Iran kooperierende Asad-Regime ist im Dezember 2024 abgetreten, die Hizbullah im Libanon scheint militärisch besiegt zu sein und die Huthi im Jemen sind im militärischen Visier Israels und der USA.
Die Zeit des Löwen
So sieht der "Löwe" jetzt seine Zeit gekommen, sich auch gegen den Iran selbst zu erheben. Mit dem am 13. Juni begonnenen Krieg sieht er die Chance gekommen, eine künftige potentielle nukleare Bedrohung auszuschalten, sowie das Abschusspotenzial ballistischer Raketen zu dezimieren.
Abgesehen davon, dass dieser Krieg nun die Aufmerksamkeit vom weiterhin in Gaza tobenden Krieg in Gaza, den immer noch dort festgehaltenen Geiseln und den Korruptionsvorwürfen gegen den israelischen Ministerpräsidenten ablenkt, hat der Krieg gegen den Iran eine ungleich größere strategische Bedeutung.
Revolutionsführer Ali Chamenei hat zwar bereits vor Jahren erklärt, dass der Bau einer Atombombe unislamisch und absolut "haram" – also aus religiösen Gründen verboten sei und Atomkraft nur für zivile Zwecke zu nutzen sei.
Darauf wollte sich Israel – dessen nicht deklariertes Atomprogramm keiner internationalen Kontrolle unterliegt – aber offenbar nicht verlassen, weshalb es 2018 das unter US-Präsident Obama geschlossene Abkommen zur Kontrolle des iranischen Atomprogramms ebenso torpediert hat wie die aktuellen Bemühungen um Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran.
Israel erhöht jetzt das Tempo seiner militärischen und geheimdienstlichen Operationen: die Linie der USA ist unter Trump unwägbar geworden und außerdem besteht für Israel die realistische "Gefahr", dass die USA und Russland bald auf ein Ende des Konflikts drängen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Allerdings hat der G7-Gipfel in Kanada am 16. Juni in seiner Erklärung zum aktuellen Konflikt Israels Recht auf Selbstverteidigung betont. Andererseits: "Der Völkerrechtler Kai Ambos warnt mit Blick auf den israelischen Angriff vor einer Aufweichung der Maßstäbe. ‚Wenn wir die Schwelle für Selbstverteidigung immer weiter nach vorne verlagern, wird das Gewaltverbot – eine Fundamentalnorm des Völkerrechts – praktisch bedeutungslos‘, sagt Ambos. ‚Denn es würde bedeuten, dass jeder Staat aufgrund eines bloßen Bedrohungsgefühls selbst entscheidet, wann er militärische Gewalt anwenden kann.‘ Israels jüngste Luftschläge gegen den Iran seien auch bei einem weiten Verständnis des Selbstverteidigungsrechts nicht gerechtfertigt.‘ " (FAZ, 14.6.2025, S.8)
Was will der Löwe?
Nach Einschätzung zahlreicher Experten ist es fraglich, ob die aktuelle Militäraktion das Ziel erreichen kann, das iranische Atomprogramm zu stoppen.
Wohl kaum jemand glaubt, dass es Israels Absicht ist, die Bevölkerung des Irans zu befreien.
Im Gegenteil: die offensichtlich geheimdienstlich langfristig und hervorragend im Iran vernetzte Vorbereitung des Angriffs ruft nun große Sorgen unter den Minderheiten des Landes hervor: bei der Suche nach den Helfern Israels im Land, werden die Mullahs wohl weniger in den eigenen Reihen suchen, als vielmehr bei ethnischen Minderheiten wie Kurden, Baha’i und anderen, wie Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker schreibt.
Dennoch werden die Iraner von Israel angetrieben, selbst zu Löwen zu werden: Äußerungen israelischer Regierungsmitglieder lassen vermuten, dass auch die Erhebung des iranischen Volkes gegen das Regime und dessen Fall ein Ziel sein könnte.
Das jedenfalls dürfte schwierig werden. Eine Frauenrechtlerin, die für ihre Aktivitäten auch schon im Gefängnis war, wird zitiert: "Auf der einen Seite will ich aus tiefstem Herzen, dass dieses Regime kapituliert. Auf der anderen Seite habe ich Angst vor dem Chaos, das folgen würde. … Ich bin kein Unterstützer, aber ich erwarte von meiner Regierung, dass sie bis zur letzten Rakete Vergeltung übt." (FAZ, 17.6.2025, S. 2)
Nicht nur die Iraner selbst sind nun durch die scheinbar auch willkürlichen Bombardierungen der zivilen Infrastruktur und öffentlicher Plätze Teherans, durch die hunderten auch getöteten Zivilisten gegen Israel aufgebracht. Mehrere Analysten sagen bereits voraus, dass der aktuelle Konflikt nicht nur die Menschen im schiitischen Iran aufbringt. Er ist auch Wasser auf die Mühlen der nach wie vor präsenten Terrorzellen des sunnitischen IS, der seinen Kopf ebenfalls bald wieder erheben könnte.
Ebenso wie im Gazakrieg ist auch hier ein Plan für den Tag danach nicht in Sicht.
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