Saghar Kia wollte weg. Weg von der strenggläubigen Familie ihres Mannes, mit dem sie als 16-Jährige zwangsverheiratet worden war. Weg aus der Familie, in der sie körperliche Gewalt erlebt hat. Als Frau durfte sie sich im Iran nicht scheiden lassen, das Sorgerecht für ihre damals siebenjährige Tochter sollte sie nicht bekommen.

Saghar Kia und ihr Kind machten sich 2017 auf den Weg. Ein Schlepper habe ihr ein Visum für Deutschland besorgt, erzählt sie fünf Jahre später in ihrer Nürnberger Wohnung:

"Ich bin als Frau im Iran einfach ein Zweite-Klasse-Mensch".

Wenn sie in ihrer Heimat als Zeuge vor Gericht aussage, müsse eine weitere Frau ihre Aussagen bestätigen, dann würde sie der Richter akzeptieren. Als Erbin würde sie nur die Hälfte des Erbes erhalten.

Fiel ihr schwer, religiöse Vorschriften einzuhalten

Saghar Kia ist mittlerweile 34 Jahre alt. Schon als Mädchen, aufgewachsen in der Nähe von Teheran, habe sie nicht verstanden, warum für sie andere Gesetze gelten als für Jungs, erzählt sie. Es fällt ihr schwer, die religiösen Vorschriften, wie das Fasten oder fünfmal am Tag zu beten, einzuhalten. Sie hat deswegen ein schlechtes Gewissen, und sie wird bestraft.

"Einmal haben meine Haare aus dem Kopftuch vorn etwas rausgesehen und meine Tante hat mich bestraft".

Sie verbot dem Mädchen eine Woche lang, in die Schule zu gehen, erinnert sich die junge Frau: "Sie wusste ja, dass ich so gerne lerne."

In der Öffentlichkeit versuchte Saghar damals Begegnungen mit der Moralpolizei zu vermeiden. Die kontrolliert die Kleidungsvorschriften, die für Frauen gelten. Körper und Haare müssen bedeckt sein. Einmal sei ihre Schwester verhaftet, aber zum Glück wieder freigelassen worden.

Daran denkt Saghar Kia nun, wenn sie die aktuell heftigen Proteste im Iran aus der Ferne miterlebt. Viele Demonstrierende werden verletzt, immer wieder Menschen getötet. Die gebürtige Iranerin schläft schlecht, verfolgt in den sozialen Medien, was iranische Journalistinnen posten, sieht Videos von Mädchen, die ihre Kopftücher verbrennen, die sich Schulleitern entgegenstellen und sich die Haare abschneiden. Und sie findet auch immer wieder Videos, die zeigen, wie Frauen von der Sittenpolizei misshandelt werden.

Saghar macht sich große Sorgen um die Menschen im Iran

Sie könne die Unzufriedenheit so gut nachvollziehen, sagt Saghar: "Jeder, der jetzt auf die Straße geht, hat einen eigenen Grund. Die möchten das komplette Regime nicht mehr." Die einen gingen wegen der Unterdrückung der Frau auf die Straße; ein Mann vielleicht, weil er es in drei Jahren nicht geschafft hat, das Geld für ein Fahrrad für sein Kind zusammenzubekommen. Saghar kämpft immer wieder mit den Tränen. Sie mache sich große Sorgen um die Menschen im Iran, die sie liebt, um ihre Schwester und ihren Bruder, der auch zum Protestieren auf die Straße geht.

"Ich habe gedacht, dass ich Iran nicht mehr vermisse", sagt sie, "aber wenn ich gerade die Proteste sehe, ist mein Herz wieder da, es ist meine Heimat". In Nürnberg schließt sich Saghar Kundgebungen für den Iran an:

"Hier ist das ganz anders, hier darf man seine Meinung sagen, ohne getötet zu werden".

Saghar geht es in Nürnberg gut, sagt sie. Sie hat gerade ein Studium zur Diakonin an der Evangelischen Hochschule begonnen. Ein paar Monate, nachdem sie in Deutschland angekommen war, ist sie zum Christentum konvertiert. 2020 hat sie einen positiven Asylbescheid bekommen und vor wenigen Wochen hat sie einen gebürtigen Iraner geheiratet, den sie in der Kirche kennengelernt hat.