Andreas Knie, Professor an der TU Berlin, forscht unter anderem am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung zu Verkehr, Technologie- und Wissenschaftspolitik. Er sagt: Auf dem Land haben Busse keine Bedeutung mehr.

"Busse spielen auf dem Land keine Rolle mehr."

Das 9-Euro-Ticket hat deutschlandweit Menschen mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren lassen. Wie sieht es denn auf dem Land aus: Kommt man dort um die Nutzung eines Autos herum?

Andreas Knie: Man muss kein Wissenschaftler sein, um zu erkennen, dass Menschen in ländlichen Regionen aufs Auto angewiesen sind. Das 9-Euro-Ticket ist schön und gut, aber es löst nicht das Problem der Zugänge zum klassischen Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in ländlichen Regionen. Vor der Pandemie sind im ländlichen Verkehr etwa 92 Prozent Schüler und Auszubildende in den Bussen gefahren und 8 Prozent waren diejenigen ohne Führerschein. Wir müssen uns klarmachen, dass wir mit Linienbussen im getakteten Verkehr der Autogesellschaft nicht mehr hinterherkommen. Die Busse waren eine gute Idee vor der Erfindung des Autos. Und sie sind ein Verkehrsmittel, das in Ballungsräumen noch funktioniert. Aber in den zersiedelten Gegenden, die wir in Deutschland typischerweise vorfinden, haben Busse keine Bedeutung mehr.

Wie lautet denn ihre Alternative?

Knie: Wir könnten alles auf On-Demand setzen. Ein Taxi-Kilometer kostet etwa zwei Euro, der Bus-Kilometer mit 3,50 Euro ist viel teurer und rechnet sich nur, wenn der Bus voller wäre. Ein Bus, der irgendwie fährt, ist eine reine Alibi-Veranstaltung. Das ganze System des ländlichen Raums kostet viel Geld, das der Staat zahlt. Mein Rezept lautet ganz einfach: Fahrt alle Taxi.

"Eine kostengünstige Lösung sind Pool-Taxis"

Das klingt ziemlich teuer.

Knie: Nein, es ist viel billiger. Selbst gebündelte Schienenverkehre sind teilweise völlig unrentabel. Diese berühmten letzten Meilen, die Erschließung der ländlichen Räume können wir mit dem Taxi machen. Eine kostengünstige Lösung sind etwa Pool-Taxis oder, wie sie früher hießen: Anruf-Sammeltaxis. In einigen Regionen wird das mit sehr bürokratischen Formen versucht. Es müsste allerdings im regulären Ticketpreis enthalten sein.

Wie sieht die Mobilität der Zukunft ihrer Ansicht nach aus?

Knie: Die Alternative zum Auto kann nur das bessere Auto sein. Da wir noch keine autonomen Fahrzeuge haben, muss es erst mal ohne gehen. Das Taxi muss zum Massenverkehrsmittel werden, und das kann es auch. Wir müssen uns nur beeilen, weil die Branche stirbt. In Berlin haben wir 8.200 Taxi-Lizenzen gehabt, davon ist nur noch die Hälfte aktiv. In Deutschland ist das Taxi-Fahren immer verbunden mit der Annahme, dass Menschen viel Geld haben müssen, dabei ist es wunderbar. Man ist mit dem Zug in Untertupfingen angekommen und will nach Obertupfingen, bestellt per App ein Taxi. Dann man wartet man vielleicht zehn Minuten, und wenn noch ein anderer Fahrgast mitgenommen wird, fährt der Fahrer vielleicht einen kleinen Umweg, aber man fährt nach Hause.

"Busse lohnen sich selbst in Städten mit 100.000 Einwohnern nicht mehr."

Woran scheitert es, diesen Vorschlag umzusetzen?

Knie: Die Unternehmen selbst haben kein Interesse an einer Änderung, weil sie finanziert werden. Es werden sogenannte Brutto-Verträge ausgeschrieben, es bewirbt sich jemand und bekommt für zehn Jahre den Auftrag. Wie viele Leute faktisch mitfahren, interessiert keinen mehr. Dabei lohnen sich die Busse selbst in Städten mit 100.000 Einwohnern nicht mehr. Sie haben morgens Spitzenwerte, weil ein paar Schüler hin- und herfahren. und der Rest ist überflüssiger Verkehr. Bequemer, ökonomischer und ökologischer wäre es, die Menschen auf einzelne Wagen zu verteilen und nicht mit großen Diesel-Bussen durch die Gegend zu fahren, die nur zu zehn Prozent gefüllt sind. Die Verkehrsverbünde, die es eigentlich koordinieren sollten, verwalten nur das Elend.

Wie lässt sich denn die Branche aus Verkehrsverbünden und Unternehmen zum Umlenken bewegen?

Knie: Das einzige Problem ist, dass die Verkehrsunternehmen und Verbünde keinen Modernisierungsanspruch haben. Ihre Forderung für ein 69-Euro-Ticket ist definitiv zu teuer. Das 9-Euro-Ticket hat den Menschen gezeigt, wie einfach öffentlicher Verkehr sein kann. Ein Zurückfallen in Waben, Tarife, Bediengebiete, so dass keiner mehr weiß, welcher Dschungel für wen wann gilt, wäre fatal und peinlich.

"Das 9-Euro-Ticket war eine Werbung für den ÖPNV."

Das Angebot des 9-Euro-Tickets fiel auch in die Ferienzeit. Inwiefern hat es im Alltag funktioniert?

Knie: Wir haben noch nicht verlässliche Zahlen, denn das Experiment endet erst zum September, dann wird der Bund eine neue Erhebung der Alltagsmobilität starten. Aber wir haben gesehen, das 9-Euro-Ticket war plötzlich hip. Es war eine gigantische Image-Aufwertung, und das hat der ÖPNV, seitdem ich denken kann, noch nie erlebt. Wir haben jetzt fast 40 Millionen Tickets verkauft. Davon waren eher Event-Verkehrer unterwegs. Aber die Menschen sind insgesamt mehr gefahren.

Das Ticket war ein riesiges Ausprobier-Programm, vor allem für Menschen aus unteren Einkommensschichten. Und es war eine Werbung für den ÖPNV, weil er sich mit einer einheitlichen Fahrkarte flexibel dargestellt hat. Ein Mann aus unseren Fokus-Gruppen hat gesagt: "Endlich habe ich nicht mehr das Gefühl, mit falschem Ticket unterwegs zu sein." Das einzige Problem war die Unterscheidung zwischen Nah- und Fernverkehrszügen. Außerdem hat es nicht dazu geführt, dass die Menschen, die bisher Auto gefahren sind, jetzt auf den öffentlichen Verkehr umsteigen. Das haben wir auch nicht erwarten können.

"Wir fordern ein 29-Euro-Ticket für alle Busse und Bahnen und eine Flatrate fürs Taxi."

Derzeit werden viele mögliche Anschluss-Lösungen diskutiert: Wie lautet Ihre?

Knie: Wir fordern ein 29-Euro-Ticket für alle Busse und Bahnen, für den Fernverkehr und auch für die sogenannte letzte Meile. Also eine Flatrate auf das Taxi, mit dem ich von meinem Zuhause bis zur Starthaltestelle und schließlich bis zum genauen Ziel reisen kann.

Wie weit sind wir in Deutschland davon entfernt?

Knie: Nicht mehr weit, es wird heftig debattiert. Ein 29-Euro-Ticket würde 14 Milliarden Euro kosten. Aber wenn man die Diesel-Subventionierung, die Pendler-Pauschale und die Dienstwagen-Besteuerung einkassieren würde, hätten wir diese Summe sofort beisammen. Die Menschen müssten für das Autofahren mehr zahlen, aber diejenigen mit höherem Einkommen könnten sich das erlauben, und diese wurden bisher sehr begünstigt. Nicht nur aus sozial- und klimapolitischen Gründen, selbst im Hinblick auf die Friedenspolitik wäre das ideal. Wir fahren immer noch mit Öl, das zu einem Drittel aus Russland kommt.