Wäre Wilhelm Conrad Röntgen ein bisschen ordentlicher gewesen - die nach ihm benannten Strahlen hätte er wohl nie entdeckt. Als er im Herbst 1895 wie so oft bis spät in die Nacht in seinem Labor an der Universität Würzburg mit Kathodenstrahlen experimentierte, begannen ein paar Brösel auf dem unaufgeräumten Tisch zu leuchten.

Das Bariumplatinzyanür leuchtete auch weiter, als Röntgen die Kathodenröhre mit etlichen Materialien abschirmte: Diese Strahlen durchdrangen Materie. Die Entdeckung am 8. November 1895 machte Röntgen bekannt und revolutionierte Physik und Medizin. Vor 100 Jahren, am 10. Februar 1923, starb Röntgen.

"Was in den Wochen nach dieser Entdeckung passierte, charakterisiert den Wissenschaftler und Menschen Röntgen ziemlich gut", sagt der Würzburger Röntgen-Kenner Roland Weigand. Offenbar verließ Röntgen kaum noch sein Labor, so sehr bannte ihn die Entdeckung der unbekannten Strahlen, die er X-Strahlen nannte.

"Er ließ sich das Essen dorthin bringen, sogar ein Bett soll er im Labor aufgestellt haben - und das, obwohl er als Leiter des Instituts nur einen Stock höher mit seiner Frau Bertha gewohnt hat", sagt Weigand.

Entdeckung der Röntgenstrahlen

Als Röntgen mit 50 Jahren die X-Strahlen entdeckte, war er in Fachkreisen bereits hochgeschätzt. Er hatte eine akademische Karriere hingelegt, an die mehr als 30 Jahre zuvor niemand zu denken gewagt hatte. 1863 wurde der 1845 in Remscheid geborene Röntgen im holländischen Utrecht ohne Abschluss von der Schule geworfen - weil er für eine Lehrer-Karikatur verantwortlich gemacht wurde, die aber wohl nicht von ihm stammte.

Offiziell durfte Röntgen in Utrecht deswegen nicht studieren und war nur als Gasthörer eingeschrieben. Später ging er in die Schweiz nach Zürich an die Polytechnische Hochschule. Dort war ein Studium ohne Abitur möglich.

In der Schweiz lernte er nicht nur seine spätere Frau kennen, sondern auch August Kundt, bei dem er Physik studierte und dessen Assistent er wurde. 1888 nahm er einen Ruf als Professor nach Würzburg an. "Diese Entscheidung zeigt, dass ihm die Experimentalphysik über alles ging", sagt Roland Weigand. Denn Röntgen hätte allen Grund gehabt, Würzburg zu meiden: Als er 1870 als Kundts Assistent erstmals nach Unterfranken kam, durfte er an der Uni trotz Doktortitel nicht habilitieren - wegen des fehlenden Abiturs.

Genie und Kauz

"Würzburg hatte damals das bestausgestattete physikalische Institut in Deutschland, vielleicht sogar in Europa", sagt Weigand. Daher zögerte Röntgen nicht lange und zog an den Main. Zeitgenossen bezeichneten ihn als Kauz, als Sozialphobiker, aber auch als Genie, akribischen Forscher und Wissenschaftler. Zuvorderst aber war er absolut uneitel. Als er im Januar 1896 nach vielen Experimenten erstmals die X-Strahlen präsentierte, begann er seinen öffentlichen Vortrag laut Zeitzeugen mit den Worten:

"Durch Zufall entdeckte ich diese Strahlen."

Nach dem Vortrag wurde von Zuhörern der Vorschlag gemacht, die von Röntgen entdeckten Strahlen auch nach ihm zu benennen - dafür fand sich eine große Mehrheit, entgegen Röntgens ausdrücklichem Wunsch. Der Wissenschaftler meldete für die Strahlen und deren Nutzung auch kein Patent an, ihm ging es nicht um Ruhm oder Geld, sondern um die Wissenschaft. Später beanspruchten auch andere Forscher die Entdeckung für sich. Das ging so weit, dass ihm manche den ersten Nobelpreis für Physik im Jahr 1901 am liebsten wieder aberkennen wollten - erfolglos.

Würzburger Zeit schönste im Leben

Ihre Würzburger Zeit (1888-1900) nannten Röntgen und seine Frau Bertha im Nachhinein die schönste ihres Lebens. Röntgen folgte im Jahr 1900 dem Ruf als Professor an das Physikalische Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ein Jahr nach seinem Wechsel wurde Röntgen der Nobelpreis verliehen.

Er nahm die Auszeichnung zwar selbst in Stockholm entgegen, reiste aber schon am Morgen nach der Verleihung wieder ab - ohne, wie alle anderen Preisträger, eine Rede zu halten. Röntgen lehrte bis April 1920 in München, bis ins hohe Alter von 75 Jahren. Er starb am 10. Februar 1923, beerdigt ist er in Gießen.

Überliefert ist, dass er zeitlebens mit seiner größten Entdeckung haderte - nicht wegen der Entdeckung an sich, sondern weil er darauf reduziert wurde. Dabei hatte er sich nur in einem Bruchteil seiner Forschungszeit damit befasst. Hinzu kam, dass nicht die Entdeckung der X-Strahlen selbst die Menschen begeisterte, sondern die Tatsache, dass ihre Nutzung die Medizin revolutionierte.

Vielleicht auch deshalb hat Würzburg den Physiker lange Zeit eher stiefmütterlich behandelt. Die Gedächtnisstätte in Röntgens einstigem Labor, das in den heutigen Räumen der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt liegt, wurde erst 1985 eröffnet.

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